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Auszug aus dem Projektantrag

Opfer des Terrors der NS-Bewegung in Österreich 1933 - 1938

Das Projekt soll, basierend auf Primärquellenforschung, eine vollständige Aufstellung über Ausmaß und Opfer des nationalsozialistischen Terrors in Österreich vor dem "Anschluss" geben. Dabei wird zu untersuchen sein, inwieweit sich nationalsozialistische Gewaltanwendungen gegen spezifische Personengruppen richteten, inwieweit sie spontan erfolgten bzw. taktisch und strategisch eingesetzt wurden und welche Gegenmaßnahmen getroffen wurden. Selbstverständlich wird dabei eine Korrelation zu den politischen Rahmenbedingungen der Jahre 1933-1938 herzustellen sein. Dies gilt für die Tatsache, dass der NS-Terror einem politischen System gegenüberstand, das durch eine Zerklüftung der gesellschaftlichen Lager gekennzeichnet war und sich über den Bürgerkrieg des Jahres 1934 zu einem autoritären System entwickelte, dem ein großer Teil der Bevölkerung - soweit sie nicht zum christlichsozialen bzw. zum Heimwehr-Lager zählte - mit Distanz gegenüberstand. Zu berücksichtigen sein wird aber auch das phasenweise unterschiedliche Verhältnis zum "Dritten Reich", wobei vor allem die Rückwirkungen des Juliabkommens 1936 und der Berchtesgadener Zusammenkunft zwischen Hitler und Schuschnigg vom Februar 1938 zu beachten sind.

 

Es ist beabsichtigt, auf der Grundlage der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse zur österreichischen NSDAP vor 1938 und zur Geschichte des "Ständestaates" und seiner Auseinandersetzung mit der illegalen NSDAP die Phasen des NS-Terrors in Österreich vor dem März 1938 und ihre politischen Rahmenbedingungen zu beschreiben.

 

Zur Strukturierung der Recherche soll - als Arbeitshypothese - von folgender Einteilung der einzelnen Etappen des NS-Terrors ausgegangen werden:

 

  • Vorgeschichte (Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland auf Österreich)
  • Terrorwelle des Juni 1933 (der unmittelbare Anlass für das Verbot der österreichischen NSDAP)
  • Aktionen und Anschläge nach dem Parteiverbot, einschließlich ihrer innen- und außenpolitischen Aspekte
  • Böller- und andere Sprengstoffattentate ab dem Jahreswechsel 1933/34
  • Terrorwelle Mai/Juni 1934
  • Juliputsch 1934 (Wien, Steiermark/Kärnten, übrige Bundesländer)
  • gewaltsame Aktionen der illegalen NSDAP vor und nach dem Juliabkommen 1936
  • die Zeit vom Berchtesgadener Abkommen am 12. Februar bis zum deutschen Ultimatum vom 10. März 1938
  • NS-Terror im Zuge der Übernahme der Regierungsgewalt während des "Anschlusses" (gegen Jüdinnen und Juden, gegen Repräsentanten des "Ständestaats", gegen sonstige politische Gegner) bis zur Übernahme der Regierungsgewalt in der Nacht zum 12. März 1938. Der Terror ab der Machtübernahme wird sowohl aus historischen als auch aus methodischen Gründen ausgeklammert.

 

Aufbauend auf dieser historiographischen Einordnung soll die eigentliche Projektarbeit einsetzen: Die Erstellung einer Datenbank der NS-Opfer vor 1938, die die Grundlage einer Publikation bilden soll, die die Ergebnisse des Projekts zusammenfassen wird.

 

Während sich die Darstellung des NS-Terrors auf eine umfangreiche historisch-politikwissenschaftliche Literatur stützen kann, ist für die Untersuchung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors 1933 bis 1938 Grundlagenarbeit zu leisten, weil zu diesem Thema eine derartige biographische Recherche und Datenerfassung zum ersten Mal erfolgt.

Unter "Opfern" werden Tote und Verletzte seitens der staatlichen Exekutive (Polizei, Gendarmerie, Bundesheer), regierungstreuer paramilitärischer Organisationen (Heimatschutz bzw. Heimwehr, Ostmärkische Sturmscharen u. a.), politische Gegner des Nationalsozialismus (auch deutsche Emigranten und andere ausländische NS-Gegner in Österreich) sowie "Unbeteiligte" verstanden. 

 

Die Opfer sollen hinsichtlich der weiter unten erläuterten Kriterien erfasst werden. Die Durchführung dieser Arbeit wird in folgenden Arbeitsschritten erfolgen:

 

  1. Erarbeitung eines einheitlichen Schemas für die biographische Datenerfassung.
  2. Primär-Quellenstudium im Österreichischen Staatsarchiv und, ergänzend dazu, in den Landesarchiven jener Bundesländer, in denen die intensivste NS-Tätigkeit zu verzeichnen war (die Auswahl ist auf der Grundlage der Akten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bestand BKA/Inneres zu treffen). Insbesondere werden die Stammblätter der Soldaten und Angehörigen von Polizei und Gendarmerie, die während des Juliputsches 1934 ums Leben kamen, zu konsultieren sein.
  3. Ergänzung der polizeilichen Erhebungsberichte durch Angaben in Gerichtsakten sowie Zeitungsberichten.
  4. Durchsicht von Gedenkartikeln nach 1945 in den Zeitungsausschnittsammlungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, der Dokumentationsabteilung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien und anderer Einrichtungen in Wien und - falls erforderlich - in den Landeshauptstädten.
  5. Ergänzende biographische Recherchen in Pfarr- und Ortschroniken (Briefwechsel mit Bürgermeisterämtern, HeimatforscherInnen sowie mit sonstigen Behörden [Meldeämter u. a.]).

 

Die so gewonnenen empirischen Daten sollen schließlich im Hinblick auf eine gruppenbiographische Quantifizierung analysiert und verallgemeinert werden. Aus den erstellten Einzelbiographien werden folgende Eckdaten für die kollektiv-biographische Auswertung ausgewählt:

 

  • Alter
  • Beruf
  • Geschlecht
  • Wohnort/Bundesland
  • religiöses Bekenntnis
  • politische Einstellung
  • Grad der Verwundung (leicht, schwer, tödlich)
  • Verteilung auf die einzelnen Jahre bzw. Ereignisse
  • Wurde ein Opfer gezielt ausgewählt, d. h., wurde gezielt ein Attentat auf jemanden verübt; war es ein Opfer im Zuge seiner Dienstausübung (z. B. Polizist), oder handelte es sich um eine völlig unbeteiligte Person (Passant)?
  • War jemand Opfer kollektiver oder individueller (Einzeltäter) Gewaltanwendung?

 

Abschließend sollen die in der DÖW-Flugschriftensammlung verwahrten illegalen NS-Publikationen dahin gehend analysiert werden, welche Methoden zur Stigmatisierung der einzelnen Opfergruppen (Repräsentanten des "Ständestaats", Juden, Marxisten) verwendet wurden und in welchem Zusammenhang diese Propaganda zum realen Terror stand.

 

 

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