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Birkenfeld, Ludwig

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

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Name russisch: Биркенфельд Людвиг Карлович

Geboren: 23.01.1901, Krakau

Beruf: Ökonom, Journalist

Letzter Wohnort in Österreich: Wien

Ankunft in Russland/Sowjetunion: 25.04.1934

Wohnorte in der Sowjetunion: Moskau, Ufa

Verhaftet: 24.02.1938, Moskau

Anklage: Spionage

Urteil: 23.07.1940, Sonderberatung (OSO), 8 Jahre Lagerhaft

Gestorben: Gulag

Rehabilitiert: 04.10.1989, Militärstaatsanwaltschaft des Moskauer Wehrkreises

Emigrationsmotiv: Schutzbund-Emigration

Schicksal: in der Haft umgekommen

 

Ludwig Birkenfeld wurde 1901 in Krakau (Kraków) geboren, sein Vater war Spitalsarzt. Die Familie jüdischer Herkunft übersiedelte 1916 nach Wien. Wegen schwieriger materieller Verhältnisse (der Vater war 1916 bis 1919 in russischer Kriegsgefangenschaft, die Mutter krank) war Birkenfeld schon als Gymnasiast als Nachhilfe- und Hauslehrer tätig. Trotzdem konnte er mit Auszeichnung maturieren und ein Studium an der Hochschule für Welthandel absolvieren. 1925 promovierte er dann an der Wiener Universität in Staatswissenschaften. Birkenfeld lebte in dieser Zeit vom Verfassen von Dissertationen. Nach einem Studienaufenthalt in Paris 1925 war er ab 1926 Dozent für Politökonomie und Geschichte der Arbeiterbewegung an den Wiener Volkshochschulen. Helene Bauer, die Frau von Otto Bauer, mit der er (wahrscheinlich) verwandt war, protegierte ihn. Birkenfeld arbeitete in der Marxistischen Studiengemeinschaft von Max Adler und Leo Stern mit und war in linkssozialistischen Kreisen aktiv. Als es 1933 zu Differenzen kam, gründete er zusammen mit anderen die Linksradikale Arbeiteropposition. Anfang Februar 1934 trat er der KPÖ bei. Er verfasste in seiner Zeit in Österreich über 60 Aufsätze und Broschüren.

 

Am 12. Februar 1934 wurde er als Schutzbündler mobilisiert und am nächsten Tag beim Breitenseer Straßenbahnhof verhaftet. Drei Tage wurde er auf dem Polizeikommissariat Tannengasse festgehalten und misshandelt. Nach der Entlassung flüchtete er über die Tschechoslowakei nach Russland. In Moskau arbeitete Birkenfeld zuerst bei der Planungsbehörde Gosplan (über qualifizierte Arbeitskräfte in der Schwerindustrie), ab Sommer 1935 bei der Akademie der Wissenschaften. Auf der Halbinsel Kola führte er Recherchen zur Frage "Erforschung der Produktionsquellen der UdSSR" durch, er verfasste auch eine Arbeit über die Februarkämpfe in Österreich.

 

Im Herbst 1937 verlor Birkenfeld seine Stelle in der Akademie, weil er beim Arbeitsantritt eine Empfehlung von Vil'gel'm Knorin vorgewiesen hatte. Der Komintern-Funktionär Knorin war am 22. Juni 1937 verhaftet worden und alle von ihm empfohlenen Personen gerieten unter Verdacht. Die МОПР (Interationale Rote Hilfe) verweigerte Birkenfeld jegliche Unterstützung. Eine Rückreise nach Österreich war unmöglich, weil er inzwischen ausgebürgert worden war. Friedl Fürnberg warf Birkenfeld in einer Stellungnahme der KPÖ vor, seine Rolle bei den Februarkämpfen übertrieben dargestellt zu haben, auch habe er ohne Bewilligung der Partei Österreich verlassen. Josef Hutschnecker (Vasilij Spiru), der damals im ZK der МОПР arbeitete und Birkenfeld aus ihrer gemeinsamen Zeit an der Wiener Universität kannte, unterstellte Birkenfeld Verbindungen zur rumänischen Botschaft in Wien. Die Akademie der Wissenschaften begründete Birkenfelds Entlassung im Oktober 1937 mit dem Argument, dass er den Doktortitel bereits besitze. Man habe ihm einen Monat später einen untergeordneten Posten angeboten, den Birkenfeld abgelehnt habe. Seine Vorgesetzten in der Akademie führten auch die Empfehlung von Knorin als Entlassungsgrund an, weiters eine für Ausländer typische Argumentation: Birkenfelds Benehmen sei verdächtig, insbesondere seine "Neugierde in Bezug auf Staatsgeheimnisse" (Buntmetallvorkommen im Hohen Norden). Ein Brief von Ernst Fischer an die Kaderabteilung vom 31. Mai 1939 war sachlich, er attestierte Birkenfeld persönliche Ehrlichkeit, erwähnte jedoch, dass dessen nähere Bekannte in Moskau auch in Haft waren - Heinz Roscher, Paul Topainer und Hermann Kandler. Am 24. Februar 1938 verhaftet, weigerte sich Birkenfeld, die Anklage durch Unterschrift zu bestätigen. Erst im Juni 1940 wurde er zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt, die er nicht überlebte. Das Todesdatum ist nicht bekannt.

 

Birkenfelds Frau Grete (geb. Spellitz) folgte im August 1934 ihrem Mann nach Moskau. Sie trat im November in die KPÖ ein und arbeitete als Lehrerin in der Karl-Liebknecht-Schule. Als diese liquidiert wurde, lebte sie von privaten Deutschstunden. Sie wurde aus Moskau verbannt, starb 1973 in Ufa. In zweiter Ehe war sie mit dem Architekten und ehemaligen Schutzbündler Alexej Polak verheiratet.

 

 

Quelle: RGASPI, GARF, lists.memo.ru, Parteiarchiv der KPÖ

 

Siehe auch Josef Vogl, Ludwig Birkenfeld, in: Barry McLoughlin/Josef Vogl, ... Ein Paragraf wird sich finden. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945), Wien 2013, S. 114-117.

 

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