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Adele Jellinek (1890 - 1943)

Herbert Exenberger

 

 

Adele Jellinek kam am 2. März 1890 als Tochter des Lackierers Samuel Jellinek und seiner Frau Anna, geborene Spitz, im Wiener Proletarierbezirk Ottakring, in der Gablenzgasse 9, zur Welt. Im Kindesalter an einer rheumatischen Entzündung in den Gelenken leidend, war sie nach einer fehlgeschlagenen Operation an den Rollstuhl gefesselt. Von ihren vier Geschwistern wurde ihre Schwester Rosa (geb. 2. 6. 1892) von ihrer letzten Adresse in der Leopoldstadt, Große Sperlgasse 6/Tür 3, am 2. Juni 1942 nach Minsk deportiert und ermordet, ihr Bruder Josef (geb. 26. 11. 1894), Redakteur des Kleinen Blattes und des Arbeiter-Sonntags, starb am 5. Oktober 1942 im KZ Sachsenhausen.

Vor allem trat Adele Jellinek mit Erzählungen, Feuilletons und Skizzen in den Zeitungen Neue Erde, Arbeiter-Zeitung, Das Kleine Blatt, Die Unzufriedene, Deutsche Freiheit, Neues Wiener Abendblatt und Neues Wiener Tagblatt hervor, bei denen fast durchwegs soziale Probleme mitschwingen. Vereinzelt begegnen wir auch lyrischen Aussagen der Schriftstellerin.

Über den Erstdruck ihres in der Arbeiter-Zeitung, dem Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie, vom 17. Februar bis 26. April 1929 in Fortsetzungen publizierten Romanes "Das Tor" heißt es im Vorspann: "Adele Jellinek ist eine Schriftstellerin von scharfsinniger und feiner Beobachtung, gütigem Herzen und inniger proletarischer Einfühlung. Ihr neuer Roman, den wir im Erstdruck bieten, spielt nicht nur auf Wiener Boden, draußen in der Wiener Vorstadt, sondern ist auch seinem ganzen Wesen nach ein Wiener Roman und ein echter Volksroman dazu. In vielen ihrer Vorzüge ist diese Erzählung wohl vergleichbar Karl Adolphs 'Haus Nr. 37'. Auch im 'Tor' von A. Jellinek werden die Bewohner eines Hauses geschildert, aber nicht hauptsächlich die Menschen einer absterbenden Generation, sondern die Menschen der kommenden Zeit: die Jungen! Die proletarische Jugend in ihrem täglichen Erfahren, in ihren kleinen Freuden und großen Nöten schildert die Verfasserin und begleitet sie durch das Elend der Armut, der Arbeitslosigkeit der Eltern, des Ekels am Lebensmißbrauch der Erwachsenen, bis zum 'Tor des Lebens', zum Eintritt in den Beruf. Der Roman ist nicht heiter, sondern sehr ernst im Geschehen und in der Absicht, aber er ist auch nicht traurig, sondern recht, recht zuversichtlich; es ist der Roman eines Problems, das uns alle angeht, aber nicht nur darum interessant, sondern auch fesselnd in jedem Kapitel durch die Kunst der Verfasserin in der Darstellung von Schicksal, Charakter und Handlung."

Zwei von den sozialdemokratischen Kinderfreunden gestiftete Preise für dramatische Jugenddichtungen entfielen im Herbst 1928 auf Adele Jellinek. Über die Lesung Inge Halberstams aus dem Werk von Adele Jellinek beim dritten Autorenabend der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller am 13. Juli 1933, der unter dem Motto "Schöpfung und Aktualität" stand, meinte Otto Koenig am 15. Juli 1933 in der Arbeiter-Zeitung:

"Diese Schriftstellerin weiß um so vieles Geheime und Verhaltene in proletarischen Seelen und hat auch die Hemmungen, Enttäuschungen und Empörungen des jungen proletarischen Volkshochschulstudenten 'Stephan Posch' mit zarten, leisen Winken fürsorglich gewiesen und gedeutet. Der Stephan Posch ist ein Typus, der eben statt Helen Kellers dynamischen Bildungsbegriff ('Bildung ist, was übrig bleibt, wenn alles Gelernte vergessen') doch so gern die privilegierende 'summa verum', den Besitz von Wissenstatsachen, dazu noch gefällige 'Benehmität' und Gewandtheit erwerben und außerdem ein sicherständiges Bewußtsein sozialer Einordnung erringen möchte; was alles vom neutralen Volkshochschulwesen eben wirklich nicht zu verlangen ist. Adele Jellineks Studie vom proletarischen Studieren gehörte in ein Volksbildungsbuch und sollte von lerneifrigen jungen Proletariern mit Augen, Hirn und Herz studiert werden. Es steckt nämlich mehr dahinter, als so obenhin abzuhören ist."

Nach dem Februar 1934 wurden nur mehr sporadisch Beiträge von Adele Jellinek in Zeitungen veröffentlicht. Die Schriftstellerin, die nach dem März 1938 ihre Wohnung in Ottakring, Thaliastraße 93 verlassen mußte, fand nach einer Zwischenstation in der Leopoldstadt, Große Mohrengasse 20, im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im 9. Bezirk, Seegasse 9, ihre letzte Unterkunft in Wien. Mit vielen anderen Insassen dieses Heimes wurde sie am 25. Mai 1943 mit einem Güterzug nach Theresienstadt deportiert. Zwei Tage vor ihrer Deportation schrieb sie noch an ihre Nichte Laura:

"Ich muß Dir noch rasch Lebewohl sagen! Ich bin froh, daß ich Dich noch gesehen habe! Dienstag um 8 Uhr früh fangen sie hier an. Halte dich gesund, vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Ich lege hier 30,- Mk. bei. Zehn Mark gehören für Gerti und Lizzi und 20,- Mk. für Dich! Du mußt sie von mir annehmen und darfst sie nicht zurückweisen ... Es haben es so viele ertragen müssen, ich werde mich schon gewöhnen."

Nach ihrer Ankunft im Ghetto Theresienstadt lebte Adele Jellinek nur noch kurze Zeit; sie starb am 3. September 1943.

 

Dieser Text wurde veröffentlicht in: Herbert Exenberger (Hrsg.), Als stünd' die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen. Wien: Mandelbaum Verlag 2000

 

 

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