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Pasicznyk, Johann

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

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Name russisch: Пасечник Иван Михайлович (Иоган Иосиф)

Geboren: 07.04.1894, Wien

Beruf: Buchhalter

Letzter Wohnort in Österreich: Wien

Ankunft in Russland/Sowjetunion: 1923

Wohnorte in der Sowjetunion: Char'kov, Donbass, Moskauer Gebiet, Moskau

Verhaftet: 29.03.1938, Moskau

Anklage: Spionage, ukrainischer Nationalismus

Urteil: 26.10.1939, Militärtribunal des Moskauer Wehrkreises, 10 Jahre Lagerhaft; 05.10.1940, Sonderberatung (OSO), Urteil auf 8 Jahre Lagerhaft reduziert

Rehabilitiert: 04.10.1989, Staatsanwaltschaft des Moskauer Wehrkreises

Emigrationsmotiv: KP-Emigration

Schicksal: unbekannt

 

Johann Pasicznyk wurde 1894 in Wien unter dem Namen Bogajčuk geboren. Er hatte fünf Geschwister, die alle jünger als er waren. Sein aus einem galizischen Dorf stammender Vater war Lagerarbeiter, der um 1899 seinen im Heimatdorf üblichen Namen Bohajčuk (Bogajčuk) offiziell auf seinen tatsächlichen Namen Pasicznyk änderte. 1921 bis 1925 war er als Portier der sowjetischen Botschaft in Wien tätig, bis die Familie Mitte der 1920er-Jahre mit zwei Töchtern nach Char'kov übersiedelte. Seine Frau war deutscher Abstammung.

 

Nach dem Schulabschluss 1911 arbeitete Johann Pasicznyk in der zentralen Statistik-Kommission des Unterrichtsministeriums und war Mitglied der SDAP. Während des Kriegsdienstes bei der k.u.k. Armee war er bei anarchistischen Gruppen aktiv, bis er 1918 demobilisiert wurde. Beruflich war er dann bis 1919 als Fremdsprachenkorrespondent für Polnisch und Ukrainisch bei der Aktiengesellschaft Alfaseparator tätig. Von 1920 bis 1923 arbeitete er als Leiter eines politischen Verlages, der im Auftrag der westukrainischen kommunistischen Partei vor allem für den polnischen Untergrund tätig war. Gleichzeitig war er Sekretär der Gesellschaft Edinenie (Einigung), die sich mit Kultur- und Propagandaarbeit unter ukrainischen, russischen und polnischen Arbeitern befasste, die nach dem Friedensvertrag von Brest nicht in die Heimat zurückgekehrt waren.

 

Pasicznyk war seit 1920 Mitglied der KPÖ und Sekretär der ukrainischen Sektion. 1923 fuhr er als Mitarbeiter der soeben aufgelösten ukrainischen Gesandtschaft in Wien unter dem Vorwand nach Char'kov, dass er dort ein Studium an einer Parteiuniversität (Коммунистический университет им. Артема) beginnen werde. Unter der Voraussetzung, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen, konnte er in Char'kov bleiben und einen Arbeitsplatz bekommen, studieren wollte er ohnehin nicht. Er arbeitete bis 1924 als Buchhalter in einem Fotobetrieb, wurde dann Rechnungsführer bei Ukrainbank. 1927 wurde er wegen finanzieller Malversationen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und aus der VKP (b) ausgeschlossen, in die man ihn bald nach der Ankunft überführt hatte. In der Folge leitete er eine mit Unterstützung der Arbeiterkammer organisierte Genossenschaft von aus Österreich auf Vertragsbasis eingereisten Arbeitern, die sich mit der Herstellung oder Bearbeitung von Gusseisen beschäftigte. Als die Genossenschaft zerfiel und die meisten Arbeiter wieder zurückkehrten, wurde er Buchhalter einer Emigrantenorganisation (wobei er sich unter dem Decknamen Galičanin - Galizier - auch als Informant des NKVD betätigte) und wenig später Inspektor eines Verlages, der eine Gewerkschaftszeitung herausgab. Nach einigen Monaten bei dem Verlag übersiedelte er ins Donbass-Gebiet und arbeitete dort in einem Koks-Kombinat als Dolmetscher. Im Sommer 1931 übersiedelte er nach Moskau. 1932 bis 1934 war er Oberbuchhalter in einer Kunstseidefabrik. Von 1934 bis 1937 arbeitete er in mehreren Erholungsheimen als Buchhalter. Zuletzt war er als Buchhalter in einer Maschinenfabrik in Moskau beschäftigt, wurde dann wegen Bummelei entlassen.

 

Als er am 29. März 1938 auf einem Bahnhof in Moskau verhaftet wurde, war er arbeits- und unterstandslos. Er gab an, er habe seine Papiere verloren und nannte einen falschen Namen, weil bereits viele seiner Bekannten als ukrainische Nationalisten verhaftet worden waren. Am 26. Oktober 1939 wurde er wegen Spionage zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Am 28. Oktober 1939 legte Pasicznyk gegen das Urteil Berufung ein, sein Argument war, dass seine Geständnisse erpresst worden waren und dass er keinerlei Spionage betrieben habe. Dass die Militärstaatsanwaltschaft als Berufungsbehörde ein Urteil wie in diesem Fall vorläufig aussetzte und weitere Untersuchungen, insbesondere in Char'kov, in Auftrag gab, kam sehr selten vor. In der Anklageschrift vom 2. August 1940 wurde Pasicznyk wieder der Spionage beschuldigt und außerdem als sozial-gefährliche Person bezeichnet. Die Sonderberatung des NKVD (OSO) verhängte schließlich am 5. Oktober 1940 wegen Mitgliedschaft in einer antisowjetischen nationalistischen Organisation eine Strafe von acht Jahren Lagerhaft. Pasicznyk wurde in ein Lager bei Uchta in der Republik Komi deportiert. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Pasicznyk war verheiratet und hatte, als er verhaftet wurde, eine siebenjährige Tochter.

 

Pasicznyks Bruder Myron flüchtete im Herbst 1931 nach Char'kov, da er als leitendes Mitglied des Militärapparates der KPÖ an dem Fememord an Georg Semmelmann in der Wiener Hockegasse am 25. Juli 1931 führend beteiligt war. Myron Pasicznyk studierte (unter dem Decknamen Karl Weingardt) 1933/34 an der Komintern-Schule КУНМЗ in Moskau. Später war er für die KPÖ im Widerstand aktiv. Er kämpfte bei den Internationalen Brigaden in Spanien und starb 1943 im KZ Dachau. Im Oktober 2012 war ihm eine kleine Ausstellung im Kunstraum Ewigkeitsgasse in Wien gewidmet. Ein anderer Bruder, der Mechaniker Julian Pasiecznik, wurde von der Gestapo am 2. März 1939 als "Russlandrückkehrer" erkennungsdienstlich erfasst. Der Wiener Künstler Herbert Pasiecznyk ist ein Neffe von Johann, Myron und Julian Pasicznyk.

 

 

Quelle: Familie, DÖW, ÖStA, lists.memo.ru

 

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