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Nagler, Hersch

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

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Name russisch: Наглер Григорий Львович (Герш, Генрих)

Geboren: 06.11.1888, Rudniki (Oberschlesien)

Beruf: Jurist, Volkswirt

Letzter Wohnort in Österreich: Wien

Ankunft in Russland/Sowjetunion: 10.03.1924

Wohnorte in der Sowjetunion: Moskau

Verhaftet: 03.09.1937, Moskau

Anklage: Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären polnischen Organisation

Urteil: 13.01.1940, entlassen

Gestorben: 1966, Moskau

Emigrationsmotiv: KP-Emigration

Schicksal: freigelassen

 

Hersch Nagler (sein jüdischer Vorname war Hersch, in russischen Quellen heißt er Григорий Львович Наглер, in der KPÖ Heinrich Nagler) wurde 1888 in Rudniki bei Oppeln (Opole) geboren. Sein Vater war ein kleiner Angestellter, der als Verkäufer und zeitweise als selbständiger Kleinhändler arbeitete. Hersch Nagler immatrikulierte im Herbst 1908 an der Philosophischen Fakultät der Wiener Universität und belegte in den ersten beiden Semestern Vorlesungen über deutsche Literatur, Philosophie und Geschichte. Sein weiteres Studium ist nicht dokumentiert, angeblich absolvierte er ein Rechts- und ein Volkswirtschaftsstudium. Er soll in dieser Zeit von Privatstunden gelebt haben. 1913/14 arbeitete er als Angestellter einer der größten Banken der Monarchie, des Wiener Bankvereins, dann war er bei einem Verlag tätig, bis er 1916 zur k.u.k. Armee eingezogen wurde. Im Frühjahr 1914 besuchte er Palästina. Von 1905 bis 1918 gehörte er der SDAP an, gleichzeitig war er Mitglied der jüdischen sozialdemokratischen Organisation Poale-Zion. Von 1918 bis 1922 war er Mitglied der KPÖ, die ihn nach Polen entsandte, wo er für die Komintern tätig war, 1920/21 zehn Monate in Haft war und anschließend des Landes verwiesen wurde. Im Juni 1921 nahm er am 3. Kominternkongress teil; die KPÖ entsandte ihn dann nach Deutschland, wo er Mitarbeiter der Roten Fahne wurde und von 1922 bis 1924 der KPD angehörte. Von 1922 bis 1924 war er Generalsekretär der russischen Handelsvertretung in Berlin.

 

Nach der Machtergreifung der Gruppe um Ruth Fischer und Arkadij Maslov in der KPD ging Nagler im März 1924 nach Moskau, wo er zuerst Leiter der Planungsabteilung der Industrie- und Handelsbank und dann stellvertretender Vorsitzender der Bank für die Finanzierung der Elektrifizierung der UdSSR war. 1928 wurde er Direktor der Staatsbank Госбанк. 1930 bis 1938 war er Leiter einer Sektion des Volkskommissariats für Finanzen, daneben übte er Leitungsfunktionen im Stalin-Autowerk und in der Verwaltung für Transportmaschinenbau Главтрансмаш aus.

 

Im Dezember 1936 (nach anderen Angaben am 20. Jänner 1937) wurde Nagler wegen Verbindungen zu einem Trotzkisten namens Friedland aus der Partei ausgeschlossen. Am 3. (oder 4.) September 1937 wurde er verhaftet. In seiner Zelle in der Butyrka traf er einen Bekannten, den ehemaligen Führer des jüdischen Bundes und Kominternfunktionär Moisej Grigor'evič Rafes (verhaftet im Mai 1938). Nach der Verhaftung traten zahlreiche Parteifreunde gegen ihn auf, er habe Rügen durch die Partei verschwiegen, seine soziale Herkunft sei zweifelhaft, er habe mit einer Sekretärin Restaurants besucht etc. Schwerwiegender waren sicher seine Kontakte zu Personen, die als "Trotzkisten" verhaftet worden waren, beispielsweise Ajzik Markovič Gol'dštejn (geboren 1903 in Slonim, erschossen am 2. Dezember 1937), dem Nagler zu einer leitenden Position in der Staatsbank verholfen hatte, oder der aus München stammende Hermann Taubenberger, dem Nagler eine gute Position bei Главтрансмаш verschafft hatte - Taubenberger wurde am 29. Mai 1937 erschossen. Darüber hinaus wurde Nagler in der Anklageschrift vom 17. Mai 1939 beschuldigt, seit 1934 der polnischen Spionage- und Sabotagegruppe POW (Polska Organizacja Wojskowa) anzugehören. Das Urteil vom 13. Jänner 1940 fiel für Nagler überraschend günstig aus: Es wurden zahlreiche Widersprüche in den Beschuldigungen aufgedeckt und Nagler freigesprochen. In der Folge arbeitete Nagler in einer leitenden Position in einem Moskauer Betrieb, der Bremsen für Autos produzierte.

 

Nach Kriegsende übersiedelte er 1945 mit seiner Frau Rachel, die am Gor'kij-Institut für Weltliteratur und später als Bibliothekarin in der Akademie der Wissenschaften gearbeitet hatte, nach Wien. Die zwei Töchter blieben in Moskau. Hersch Nagler wurde zum Direktor des Globus-Verlages bestellt und ins ZK der KPÖ gewählt. Anfang der 1950er-Jahre übersiedelte er wieder nach Moskau, wo er schließlich im Dezember 1966 starb.

 

 

Quelle: GARF, DÖW, ÖStA

 

Siehe auch Josef Vogl, Hersch Nagler, in: Barry McLoughlin/Josef Vogl, ... Ein Paragraf wird sich finden. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945), Wien 2013, S. 121 f.;

Christina Köstner, "Wie das Salz in der Suppe". Zur Geschichte eines kommunistischen Verlages - der Globus-Verlag, Diplomarbeit der Universität Wien, 2001. S. 55.

 

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