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Zur Diskussion über eine Abschlussarbeit an der FH Joanneum (Graz)

Angesichts der Berichterstattung über eine "rassistische Bachelorarbeit" und ergänzend zu einer Stellungnahme der FH Joanneum sieht sich das DÖW veranlasst, seine Einschätzung vom Sommer 2018 der Öffentlichkeit zugängig zu machen.

 

 

 

Anfang Juli 2018 erreichte das DÖW eine E-Mail der FH Joanneum (Graz), in der um eine Einschätzung der Abschlussarbeit von Thorsten Seifter gebeten wurde.

 

Am 10. Juli 2018 antworte Dr. Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des DÖW: "[...] Ihr Student ist in verschiedenen sehr weit rechts angesiedelten Organen keine unbekannte Figur (z. B. Neue Ordnung). Ich habe die Arbeit gelesen und bin eigentlich erstaunt, ob sie außer mir noch viele Menschen gelesen haben. Wer war denn da der/die Betreuer/in? Diesen fällt die gesamte Verantwortung für diese eigentlich skandalöse Arbeit zu. [...]" Auch wenn sich die Arbeit noch innerhalb des gesetzlichen Rahmens befinde (was nicht heißt, dass sie darum angenommen werden müsse), stelle sie kein "Ruhmesblatt für die FH" dar.

 

Der Antwort beigelegt wurde eine Analyse von Dr. Peter Schwarz, die dieser für das DÖW erstellt hat und im Folgenden wiedergegeben wird. In einer weiteren E-Mail an die FH vom 10. Juli 2018 riet Gerhard Baumgartner den Verantwortlichen, "den Betreuer der Arbeit zur Rede [zu] stellen und sehr wohl Konsequenzen folgen lassen".

 

 

Stellungnahme von Peter Schwarz über die Bachelorarbeit von Thorsten Seifter an der FH Joanneum

 

Nachstehend meine ersten analytischen Einschätzungen und Schlussfolgerungen zur Arbeit von Thorsten Seifter "Die innerartliche Variation des menschlichen Vokaltrakts und der Stimme" (eingereicht zur Erlangung des akademischen Grads "B. Sc.", Studiengang Logopädie, FH Joanneum, Graz 2018).

 

Thorsten Seifter dürfte einen stark ausgeprägten Hang zu einer biologistischen Form des Denkens haben. Das ist mir gleich in seinem Vorwort aufgefallen: "Nicht unerwähnt bleiben soll die oft zu kurz gekommene Anerkennung für all jene im Volk, die es durch ihre Tatkraft ermöglicht haben, dass unser Land im Allgemeinen wie auch unser Bildungs- und Gesundheitssystem im Speziellen derart solide beschaffen ist. Es wird mir Aufgabe und Freude sein, zukünftig meine Kraft für sie und ihre Nachkommen einzusetzen."

 

In seiner wissenschaftlichen Argumentation hat gleichermaßen die biologistische Sichtweise gegenüber ethischen, kulturellen, sozialwissenschaftlichen oder geschichtlichen Perspektiven den absoluten Vorrang. Er präferiert übrigens auch den Begriff "Rasse" gegenüber Begriffen wie Ethnie oder Population, obwohl er gelegentlich im selben Bedeutungszusammenhang auch auf diese Termini zurückgreift.

 

An sich finde ich schon die Idee, anhand von Stimmkriterien nach Rassenunterschieden beim Menschen suchen zu wollen, rassistisch (selbst wenn es solche Studien in den USA gibt). Der Wiener Anthropologe und Vorsitzende der Wiener Gesellschaft für Rassenhygiene (damals im Prinzip eine Tarnorganisation von Nationalsozialisten) sowie Wegbereiter der NS-Rassenlehre, Univ.-Prof. Dr. Otto Reche, hat versucht, über Blutgruppenforschung "Rassenmerkmale" zu konstituieren. Jetzt frage ich mich, wo liegt der prinzipielle Unterschied zwischen der Herangehensweise von Reche und von Seifter? Welches wissenschaftliche Erkenntnisinteresse verfolgt Seifter mit seiner Arbeit? Gerade auf diese Fragen gibt er nebulose Antworten. Mit derselben "Legitimität" bzw. Begründung könnten genauso gut Untersuchungen zu Ohr- bzw. Nasenformen oder Genitalgrößen nach "Rassengesichtspunkten" durchgeführt werden. Außerdem stellt seine Arbeit über weite Strecken auf die "Rassengruppen" "weißer Amerikaner" und "schwarzer [bzw. schreibt er mitunter ‚negrider‘] Amerikaner" ab. Würde man anstelle dieser Gruppenbezeichnungen die Termini "Juden" und "Nichtjuden" setzen, wäre das ein klarer Fall von Antisemitismus.

 

Im Prinzip ist die Arbeit Seifters der Versuch, auf der Grundlage der – infolge der NS-Zeit verpönten – "Rassennomenklatur" pseudowissenschaftliche rassistische Untersuchungen wieder zu rehabilitieren. Auffällig ist, dass methodisch sehr unsauber gearbeitet wird, was möglicherweise schon in den von ihm herangezogenen US-Studien begründet liegt. So ist in vielen Zusammenhängen unklar, welche Einflusskriterien bei den verschiedenen Messungen überhaupt denkbar bzw. möglich sind und welche berücksichtigt wurden: Sind die behaupteten Ergebnisse tatsächlich auf unterschiedliche biologisch-anatomische Gegebenheiten zurückzuführen oder wurde es verabsäumt, andere – möglicherweise ebenso relevante Größen – bei der Interpretation von Messergebnissen heranzuziehen (Alter, Geschlecht, Wohngegend, Beschäftigung, Bildung, Soziolekt, Dialekt, Konsum von Alkohol, Rauchen, Erkrankungen etc.). Durch die Verengung der Untersuchungsperspektive auf angebliche anatomische "Rassenmerkmale" des menschlichen Stimmorgans geraten andere potenzielle Einflussfaktoren kaum in den Fokus der Studie.

 

Gleichzeitig frage ich mich, was denn überhaupt der wissenschaftliche Output bzw. Wert einer solchen Arbeit ist, die sinngemäß feststellt, dass "die gemessenen Stimmfrequenzschwankungen bei weißen Amerikanern niedriger sind als bei schwarzen"?

 

Seifter unternimmt offenbar ganz unverhohlen den Versuch, mit seiner Untersuchung der "innerartlichen Variation des Vokaltrakts und der Stimme" weniger zu einer "Sprecheridentifikation" als vielmehr zu einer "Rassenidentifikation" zu gelangen. So spricht er etwa sogar von "schwarzen Kehlköpfen" (S. 36). Auch wird eine Studie aus dem rassenpolitisch determinierten Südafrika von 1945 zitiert, die angeblich anatomische Unterschiede bei "Leichenkehlköpfen" von "schwarzen und weißen Südafrikanern" festgestellt hat.

 

Im Kapitel 6 "Diskussion und Ausblick" stechen die methodologischen und wissenschaftstheoretischen Defizite des Verfassers besonders hervor. Seine grundlegende Schlussfolgerung kommt über das Niveau einander widersprechender Hypothesen nicht hinaus, denen eine naturwissenschaftlich-empirische Untermauerung sowie Beweisführung abgeht: "Es ist nicht unwahrscheinlich – wenn auch nicht mit Sicherheit zu beantworten –, dass die erfolgte, durchaus mit hohen Erkennungsraten ausgestattete, Differenzierung der Gruppen auf Basis der Rasse geschieht. Damit ist die eingangs gestellte Frage 1 und indirekt auch Frage 2 zumindest mit einiger Gewissheit zu beantworten: Dass Rassen anhand geringer (im weiteren Sinne) stimmlicher Informationen relativ souverän diskriminiert werden können." (S. 47) Solche geschickt montierten, doppeldeutigen Sätze, wie der zuletzt zitierte, zeigen einmal mehr, dass dem Verfasser jegliche Seriosität, Sensibilität und Kompetenz in Bezug auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik fehlt. Möglicherweise handelt es sich sogar um eine gezielte Provokation.

 

Obgleich der Verfasser der Arbeit selbst keine empirischen Untersuchungen vorgenommen hat, sondern insbesondere US-amerikanische Studien zur Untermauerung seiner Hypothesen heranzieht, weicht er in einem springenden Punkt von der Interpretation der US-Autoren ab: "Eine einigermaßen gesicherte Erkenntnis dieser Arbeit ist, dass es messbare innerartliche Unterschiede im Vokaltrakt bzw. im Bereich der Stimme gibt. Deren Folgen für die - erfolgreiche - Klassifikation von Menschengruppen anhand verschiedener Parameter sind noch nicht einmal im Falle der USA final beantwortet, wiewohl die Präferenz der Forscher in Richtung kultureller und nicht rassischer Erklärung geht; einer Neigung, die in dieser Arbeit nicht gefolgt wird, zumal rhino- bzw. pharyngometrische (oder auch anthropologische) gepaart mit sprachlich relevanten Messungen für Menschen aus unterschiedlichen Großgruppen, die über keine kulturelle Koexistenz (Kulturkontakt) verfügen, überhaupt nicht vorliegen [...]." (S. 54) An dieser Stelle werden die Resultate US-amerikanischer Forscher arbiträr – im Sinn des eigenen Wunschdenkens – umgedeutet, man kann in diesem Zusammenhang gar nicht mehr von einer Hypothese sprechen, sondern nur noch von Spekulation. Diese haben in naturwissenschaftlichen Arbeiten aber nichts verloren.

 

Suspekt finde ich Seifters nahezu besessene (vorwissenschaftliche) Überzeugung von der "wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit des Begriffs Rasse", der ja – bezogen auf den Menschen – in den Humanwissenschaften (Humanbiologie, Medizin, Anthropologie etc.) ein umstrittener Begriff ist. Während im englischen und französischen Sprachgebrauch "race" oft einfach eine Gruppe von Menschen oder die gesamte Menschheit ("human race") bezeichnet, ohne damit die Absicht einer Klassifizierung oder tiefgreifender Unterschiede zu verbinden, steht "Rasse" im Deutschen für Menschengruppen, die durch genetische Verschiedenheit definiert werden sollen. Im Streit um diesen Rassenbegriff steht biologisch nicht in Frage, dass es genetisch bedingte Unterschiede zwischen Menschen gibt. Fraglich ist aber, ob das biologische Konzept der Rasse und die mit ihm verbundenen Kategorien geeignet sind, die augenfällige Vielfalt der Menschen angemessen zu erfassen.

 

An dieser Stelle möchte ich nur anmerken, dass Seifter einfach ein fundiertes (und korrektes) Wissen über zentrale Begriffe der Wissenschaftstheorie wie bspw. "soziales Konstrukt" weitgehend fehlt. Desgleichen tut er ethische, kulturelle oder historische Einwände, Argumente bzw. Überlegungen als irrelevant ab. Auch der Umstand, dass der Begriff "Rasse" sowie "Rasseforschung" in Deutschland und Österreich seit der NS-Herrschaft belastet ist, ist für Seifter kein essentielles Kriterium für sein "wissenschaftliches" Vorhaben.

 

Obgleich Seifter sich jede politische, ideologische oder ethische Einflussnahme auf sein "wissenschaftliches" Arbeiten verbittet, legt er interessanterweise seine durchaus politisch grundierte Sichtweise des "Rassebegriffs" und seiner gesellschaftlichen Inklinationen in seinen "grundsätzlichen Bemerkungen" offenherzig dar: "Ist die Forderung einer Gleichheit im Sinne gleicher Rechte für alle Menschen aus politischer oder religiöser Perspektive legitim, muss gleichsam das genaue Gegenteil, nämlich die bewusste Ungleichbehandlung von Menschen vertretbar sein, wenn davon ausgegangen wird, dass sich Menschen(-gruppen) biologisch oder kulturell unterscheiden und demnach in Staaten unterschiedliche Rechte zugesprochen bekommen. Mit anderen Worten geht es bei dieser Diskussion darum, welche Kategorien in der Bewertung präferiert werden: Da die abstrakte Kategorie Mensch, ohne weitere Spezifizierung, dort die Kategorien Staatsbürger, Rasse etc., die zwar die Kategorie Mensch implizieren, diese aber nicht als prioritär betrachten. Sich an diesen aufgespannten Themenkomplex kritisch heranzuwagen, ruft in politischen, medialen, aber auch akademischen Kreisen bisweilen empörende Kritik oder unethische Polemik hervor [Fußnote 10: Dies hat nicht zuletzt Rindermann wiederholt – wie auch etliche andere Forscher, z. B. der Nobelpreisträger James Watson (vgl. Charlton 2008) – durch polemische Anwürfe aus Wissenschaftlerkreisen erfahren (vgl. Rindermann 2013a, 2015). Von Fällen an deutschen Hochschulen wie Thomas Rauscher (Leipzig) bzw. Jörg Baberowski (Berlin) oder breitenwirksamer Thilo Sarrazin, der für sein in Bezug auf die Intelligenzforschung als fundiert eingeschätztes Buch (vgl. Rindermann & Rost 2010) "Deutschland schafft sich ab" von der Journalistin Mely Kiyak als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur" (Kiyak 2012) bezeichnet wurde, ganz zu schweigen]. Der Titel der Arbeit suggeriert aber bereits, dass das Antonym Ungleichheit notwendigerweise das Fundament, die conditio sine qua non, darstellen muss." (S. 7 f.)

 

Mit diesen Ausführungen outet sich Seifter auf diesem Gebiet als Vertreter rechtspopulistischer Vorstellungen und Zielsetzungen gerade auf dem Gebiet der Asyl-, Zuwanderungs- und Bevölkerungspolitik. Solche Agitationen des Verfassers mögen außeruniversitär betrieben werden, sie gehören nicht in eine Abschlussarbeit, die vorgibt, den "Einfluss der Rasse auf die Stimme" darlegen zu wollen.

 

Vor dem Hintergrund des hier Dargelegten kann ich für Herrn Seifter auch nicht mildernde Umstände ins Treffen führen, zumal es sich bei ihm um keinen "naiven" bzw. "unerfahrenen" Studierenden handelt (immerhin hat er bereits den akademischen Grad "M.A." erworben). Er weiß ganz genau, was er mit seiner "Rassenstudie" bewerkstelligen will, seine Formulierungen sind bewusst gewählt und keinem Versehen geschuldet.

 

Summa summarum teile ich die Auffassung, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit eher um eine "modern verbrämte Wiederbelebung alter rassistischer Kriterien" handelt.

 

Soweit meine erste Einschätzung.

 

 

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