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Rohr, Angela

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

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Name russisch: Рор Ангелина Карловна

Geboren: 05.02.1890, Znaim (Znojmo, Mähren)

Beruf: Ärztin, Schriftstellerin

Letzter Wohnort in Österreich: Wien

Ankunft in Russland/Sowjetunion: 1925

Wohnorte in der Sowjetunion: Moskau

Verhaftet: 28.06.1941, Moskau

Anklage: Spionage

Urteil: 5 Jahre Lagerhaft; 1942, Umwandlung der Lagerstrafe in Verbannung

Gestorben: 07.04.1985, Moskau

Rehabilitiert: 1957

Emigrationsmotiv: andere

Schicksal: überlebte

 

Angela (Angelina) Rohr wurde 1890 in Znaim (Znojmo) in Mähren geboren, ihr Mädchenname war Müllner. Sie stammte aus einer begüterten katholischen Familie. Ihr Vater war Lokalpolitiker, ein Anhänger des deutschnationalen Georg von Schönerer. Um 1904 übersiedelte die Familie nach Wien-Döbling. Angela Müllner besuchte das Schwarzwald-Gymnasium in der Wiener Innenstadt, brannte aber noch vor der Matura mit dem expressionistischen Schriftsteller Leopold Hubermann nach Italien durch. Ein 1909 geborenes uneheliches Kind übergab sie Verwandten zur Pflege. 1910 heiratete sie Hubermann und lebte mit ihm in Paris, wo sie als Gasthörerin Medizin studierte. Im Sommer 1914 trennte sie sich von Hubermann und übersiedelte in die Schweiz. Dort ließ sie ein Lungenleiden behandeln und setzte ihr Medizinstudium fort. In Zürich verkehrte sie in Künstlerkreisen. 1916-1918 war sie – angeblich in einer Scheinehe – mit dem aus Wien stammenden Publizisten, Vertreter von Bildagenturen und Gründer der Literaturzeitschrift Neue Weltbühne Wilhelm Simon Guttmann verheiratet. Nach ersten Veröffentlichungen (u. a. in der Berliner expressionistischen Zeitschrift Die Aktion) übersiedelte Angela Müllner nach Berlin, wo sie sich mit Psychoanalyse beschäftigte. Dabei lernte sie den Psychologie- und Soziologiestudenten Wilhelm Rohr kennen, den sie 1924 heiratete. Als ihr Mann, der Mitglied der KPD war, in die Sowjetunion übersiedelte, folgte sie ihm 1925. Angela Rohr nahm 1926 die sowjetische Staatsbürgerschaft an und engagierte sich in Moskau für den Aufbau eines psychoanalytischen Instituts und in der Jugendfürsorge. Daneben arbeitete sie als Journalistin für deutsche und Schweizer Zeitungen (u. a. Frankfurter Zeitung) und war an medizinischen Forschungsarbeiten beteiligt. Ab 1941 war sie Mitarbeiterin der von Johannes R. Becher herausgegebenen Literaturzeitschrift Internationale Literatur.

 

Wenige Tage nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, am 28. Juni 1941, wurde Angela Rohr verhaftet. Wilhelm Rohr war schon einige Tage zuvor verhaftet worden, er starb wahrscheinlich 1942 im Gefängnis von Saratov. Angela Rohr wurde der Spionage beschuldigt und zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Bertolt Brecht, den sie einmal als Ärztin behandelt hatte, versuchte vergeblich, sich über Vermittlung des Schriftstellers Konstantin Fedin für Angela Rohr einzusetzen. 1942 wurde ihre Strafe in Verbannung nach Sibirien umgewandelt, wo Angela Rohr als Lagerärztin arbeiten musste und überlebte. 1957 wurde sie rehabilitiert und konnte nach Moskau zurückkehren. Angesichts einer niedrigen Pension musste sie unter ärmlichen Verhältnissen leben.

 

Angela Rohr versuchte vergeblich, ihre Erzählungen in der DDR zu veröffentlichen. Am 7. April 1985 starb sie in Moskau, im selben Jahr gelangte das Manuskript ihres Hauptwerkes, des autobiographischen Romans Im Angesicht der Todesengel Stalins, in den Westen. Der Roman erschien posthum 1989 in Österreich unter dem Pseudonym Helene Golnipa.

 

 

Quelle: nur Sekundärquellen

 

Hans Marte, Die Grenzgängerin. Das außergewöhnliche Schicksal der österreichischen Ärztin Dr. Angela Rohr, in: Erhard Busek (Hrsg.), Der Grenzgänger, Klagenfurt-Wien 2000, S. 143-153;

Elke Schmitter, Das Nagelbrett der Revolution, in: Der Spiegel, 25/2010.

 

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