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Miha Sadolšek: Wenigstens auf meiner Erde

Miha Sadolšek, geb. 1912 in Lobnig/Lobnik, Bauer. 1942 Einberufung zur Wehrmacht, 1944 Desertion zu den Kärntner PartisanInnen.

Verstorben 1999

 

 

Kurz bevor ich in die Wehrmacht einrückte, traf ich die ersten Partisanen vom Kranjcev bataljon, die hatten sich verlaufen und kamen zu uns, um etwas Essen zu bekommen. Das war im September 1942, die Birnen waren schon ein bisschen reif. Starke, feste Männer waren das und wir sagten: "Marija, was stellt ihr euch denn vor, ihr seid so wenige und hier ist so eine starke Hitlerarmee." Die Antwort vom einem werde ich nie vergessen: "Wissen Sie was, wir werden noch bis Berlin kommen." Ja, wovon phantasieren denn die, der Hitlerismus war damals noch verteufelt stark. Und ich habe dann in die Wehrmacht einrücken müssen und ich habe gesehen, wie stark sie ist und mich öfters an die zurückerinnert - Marinka, was werden die paar Mankalan denn schon ausrichten, aber sie haben was ausgerichtet.

 

Ich ging kurz darauf zu den Soldaten. Was für ein Zwiespalt, kurz vorher haben sie "ausgesiedelt", und du hast dich nicht so recht getraut, etwas zu tun, sonst würden sie noch deine Familie vertreiben, wenn du etwas falsch machst, und richtige Kontakte zu den Partisanen hatten wir damals auch noch nicht.

 

Zuerst kam ich nach Jugoslawien, dann hinunter nach Griechenland. Dort war es aber so windig, und ich verkühlte mich so furchtbar, dass ich ganz steif wurde. Sechs Monate war ich im Krankenhaus. Es ist ein Wunder, dass ich gesund geworden bin, ich konnte nicht alleine essen, nicht schreiben. Wenn ich aufs Klo musste, dann führte mich eine Schwester hin. Langsam ist es dann besser geworden und ich kam nach Baden bei Wien, dort wo das gute Wasser ist. Als ich schon fast gesund war, kam ich in die Jägerkaserne nach Klagenfurt, dort war ich zuerst bei der Ersatzkompanie. Ich wurde immer gesünder und gesünder, und ich kam zur Abstellung, dorthin, wo die neuen Kleider verteilt wurden. Das war dann schon im 44er Jahr und ich dachte mir, was soll ich da unten bei den Russen, mir haben die Russen nichts getan, und ich suchte dauernd eine Möglichkeit zum Abhauen.

 

Als dann diese Aufstellung war, wir hätten am nächsten Tag weitermüssen, da nahm ich wir vor, ich hau ab, und wenn sie mich erwischen, dann sage ich einfach: "Ich habe noch einen Tag Urlaub und möchte nach Hause schauen." Ich bekam schon früher heraus, dass in der Kaserne eine alte schlechte Hintertür existierte, durch die man verschwinden könnte. Zu Mittag, beim Mittagessen bin ich hinaus und über die Straße. Ich dachte mir, ein Omnibus würde fahren, aber es kam keiner; stattdessen ist einer mit einem kleinen Luxusauto vorbeigekommen, den habe ich aufgehalten und gebeten: "Wären Sie so gut, mich mitzunehmen, ich habe einen Tag Urlaub, dann muss ich fort." "Ja, herein, herein." Er führte mich bis Völkermarkt, ich sagte, dass ich zu Fuß weitergehe, er lud mich aus und wünschte nur noch viel Glück.

 

Ich ging zu Fuß hinunter zur Draubrücke, ich war neu eingekleidet und stellte mich selbstbewusst hin, mich hat überhaupt niemand etwas gefragt, ich ging über die Brücke, stellte mich auch auf der anderen Seite selbstbewusst hin und auch dort fragte mich niemand. Aus Völkermarkt ging ich nach Kühnsdorf. Dort traf ich einen Osojnik Ori, der war Lehrling, den fragte ich, wie ich weiterkommen könnte. Er organisierte mir einen Bauern mit einem Pferd, der brachte mich bis Sittersdorf, weiter traute er sich nicht, weil bei Miklauzhof die Hitler-Jugend war oder so etwas und Abend war es auch schon, die Sonne ist untergegangen, und er hat mich dort ausgeladen. Ich gab ihm vier Mark und dachte mir, jetzt gehe ich über den Berg, dort hinauf komme ich schon. Es lag viel Schnee und ich marschierte die ganze Nacht unter den Fichten, wo es weniger Schnee gab. Am Morgen war ich am Prevaljnik-Sattel, um fünf, halb sechs, es wurde gerade hell. Ich ging nach Hause zum Peruc, rief meine Großmutter heraus und den Bruder, und erzählte, dass ich von den Soldaten abgehauen sei und mich ein bisschen verstecken wollte. Sie gaben mir andere Strümpfe, die Großmutter kochte mir Kaffee, dann versteckte ich mich im Stall, auf dem Getreidespeicher, wo ein doppelter Boden war. Sie warfen Futter herauf, und da drinnen war ich versteckt. Sie decken mich kaum zu, da kommt schon die Polizei vom Mikej-Hof. Sie durchsuchten alles, nur gefunden haben sie nichts.

 

Meine Schwester wusste, wo die Partisanen waren, und am anderen Abend schloss ich mich über die Verbindung, die meine Schwester herstellte, ihnen an. Es lag ziemlich viel Schnee, ich zog die Schneeschuhe an und stapfte den Zaun entlang hinauf zum Wögl. Dort war die javka [Treffpunkt], dorthin sollten die Partisanen kommen. Es dämmerte schon, als ich hinkam, und ich hörte schon von weitem den Gašper. Ich erkannte ihn an der Stimme. Ich meldete mich sofort, und wir gingen ins Haus, wo die terenci [politische Arbeiter] schon beisammensaßen. Das waren der Gašper und seine Gruppe, meine Frau Zala war auch dabei.

 

Am meisten fürchtete ich mich davor, wieder krank zu werden. Zum Glück war das aber nicht der Fall. Interessant, wie der Mensch zäh sein kann. Bei den Partisanen wurde ich nie krank. Und das, obwohl wir manchmal mehr nass als trocken waren und obwohl es sehr anstrengend für uns alle war. Bei den Partisanen war mir nichts zu schwer. Ich hatte immer vor Augen, dass sollten sie mich erschlagen oder sollte ich fallen, dann falle ich wenigstens auf meiner Erde. Ich wurde als terenec eingesetzt, das waren die politischen Arbeiter. Während die Kämpfer im Bataillon waren, gingen wir bei den Leuten herum, verbreiteten unsere Propaganda und sammelten für die Armee Lebensmittel und alle möglichen Sachen.

 

Die Leute, die zu Hause waren und uns unterstützt haben, waren die Osvobodilna fronta [Befreiungsfront], und ihre Ausschüsse gab es überall. Du stelltest mit ihnen Verbindung her und hast diese aufrechterhalten. Sie richteten auch immer etwas her, sammelten Lebensmittel, Medikamente, meistens aber Nachrichten, wo sich die švaba aufhalten. Wir haben immer švabi gesagt, Deutscher hat nie wer gesagt, sondern nur, der švaba kommt, der švaba geht.

 

Wenn du zu einem Treffen gegangen bist, dann hast du dich nicht immer drauf verlassen, dass nicht noch jemand anderer da sein könnte. Du hast dich ein wenig vom vereinbarten Punkt entfernt postiert und erst dann die ausgemachte Parole gerufen, für den Fall, dass sich am Treffpunkt ein Fremder befindet. Wenn du umhergegangen bist, dann musstest du immer das Terrain beobachten, denn manchmal waren die Polizei oder die Gestapo in der Gegend und lauerten auf dich. Der Jozej Šorli ist auf diese Weise umgekommen. Die Polizei ist gekommen, ob sie ihn bemerkt haben, weiß ich nicht, er ist geflohen, das war schon in der Dämmerung, und sie haben hinter ihm hergeschossen und ihn verletzt. Er war ganz alleine. Ob er zu einem Treffen gegangen ist oder sonst etwas zu tun hatte, weiß ich nicht. Sie folgten seiner blutigen Spur und erwischten ihn. Sie schleppten ihn zu seinem Vater und erschossen ihn in seiner Gegenwart. Sie fragten ihn dann, ob er den kenne. Der Vater tat so, als ob er überhaupt nicht wüsste, wer das ist, und dann musste er ihn auch noch selbst begraben.

 

Ob du dich auf die Heimischen verlassen konntest oder nicht, das war nicht immer einfach zu entscheiden. Manch einer hat freundlich getan, aber du wusstest nicht, ob du ihm wirklich trauen konntest. Deswegen fürchteten wir uns am meisten vor solchen, die einen immer anzeigten. Zeigt dich jemand an, dann weiß die Polizei in Eisenkappel genau, wo, wie viele und wer wir waren. Wir machten mit den Leuten, die gemeldet haben, aus, sie sollten sagen, dass wir lauter Fremde seien. Daneben gab es noch viele, die sagten, sie würden uns nicht melden, und dann taten sie es doch, weil sie ja vor der Polizei Angst hatten. Wenn sie nicht meldeten, dass die Partisanen am Bauernhof gewesen waren, dann wurden sie eingesperrt und "ausgesiedelt". Die Leute, die am Hof geblieben sind, haben manchmal genauso viel und noch mehr geleistet wie die Partisanen. Ist die Polizei gekommen, dann mussten sie so tun, als ob sie gegen die Partisanen wären, und es sind oft große Polizeipatrouillen, 50-70 Mann, herumgegangen und haben dann auf den Höfen übernachtet. Bevor Zala und ich zu den Partisanen gingen, blieben sie auch bei uns immer wieder über Nacht. Sie legten sich einfach ins Haus und heizten ein. Jetzt mussten wir mit ihnen gut sein. Wenn die Partisanen gekommen sind, waren wir mit ihnen natürlich auch gut. Man wusste ja, dass sie für das slowenische Volk und die eigene Existenz kämpften. Und wenn die Polizei dann draufgekommen ist, dass du mit den Partisanen Kontakt hast, dann hast du draufgezahlt.

 

Wenn wir Partisanen zu einem Haus kamen, war es oft genug der Fall, dass sie uns irgendwelche Decken gaben, und wir schliefen draußen. Das sahen sie gerne, weil sie ja sonst im Haus auch keine Ruhe hatten. Wenn du jetzt mit ihnen redest, dann sagen sie das auch. Voriges Jahr hab ich in Ebriach eine Frau besucht, auf deren Hof wir schon als Partisanen gewesen waren und wo die Mädchen so schön gesungen hatten, die hat zu mir gesagt: "Bist du dieser Mihi, der mir gesagt hat: 'Fürchtet euch nicht, ich werde Wache halten'? Wir hatten ja solche Angst, dass die Polizei auftaucht." Es tat zwar noch jeder so, als ob er dich gerne sehen würde, aber ich sage, wie es war. Einige sagen heute, bei dem Haus hatten sie mich so gern, und bei dem Haus hatten sie mich so gern, in Wirklichkeit aber war jeder froh, wenn du wieder aus dem Haus draußen warst. Ist ja auch logisch, sie hatten Angst vor der Polizei. Auf der anderen Seite waren sie wieder so gut. Bei denen, die wir gut kannten, hielten wir uns fast jeden Tag auf, und ich weiß nicht, woher sie so viel Lebensmittel hatten, um uns und sich zu ernähren.

 

Unter der Ojstra bereiteten wir im Frühjahr '44 eine Sitzung des Exekutivausschusses, der sich manchmal getroffen hat, vor. Das dauerte auch zwei, drei Tage, bevor alle zusammenkamen, weil sie aus ganz Südkärnten angereist kamen. Unter denen aus dem Rosental schlich sich auch ein raztrganec ein. Dieser Mensch machte alles sehr gut und war sehr hilfsbereit. War bei einer Tasche irgendetwas kaputt, hatte er eine Zange dabei, und sofort war das gerichtet. Zu Mittag gingen ein paar von uns zum Holar. Der Mensch kam mit uns, er war ungefähr 40 Jahre alt, seine Tasche ließ er im Lager liegen. Dort wurde jetzt aber wieder eine Zange gebraucht, um etwas abzuzwicken. Und sie schauten in seine Tasche, die dort lag. Schon früher kam einer Partisanin die Pistole abhanden. "Wo ist die Pistole, wo ist die Pistole?" So ging es die ganze Zeit. "Wer hat sie genommen?" "Vielleicht hast du sie verloren?" Sie öffneten die Tasche, und da war diese Pistole. Hat sie der Mensch gestohlen. Jetzt durchsuchten sie natürlich die Tasche, und sie fanden eine Karte, auf der alles eingezeichnet war, alle unsere Stellungen und unsere Leute. Wir kamen zurück, die Sonne schien so schön, ich wickelte mich in meine Decken ein, ein Stück weiter weg legte sich der hin, auf einmal schreit der Kolja: "Hände hoch!" Mir fuhr der Schreck in alle Glieder, dann verhörten ihn die vosovci und erfuhren alles von ihm. Er hatte alle unsere Treffpunkte auf der Karte aufgezeichnet, und er hatte die Aufgabe, unseren Hauptausschuss zu erschießen, seine Verbindungsleute wären in Eisenkappel unten, so erzählte er. Wenn ihm sein Plan gelungen wäre, dann hätte die Polizei alle unsere Stellungen rund um Eisenkappel erfahren und alle Menschen, die mitgemacht haben, was das Schlimmste gewesen wäre.

 

Während des Krieges trat ich der Kommunistischen Partei bei. Wir hatten manchmal unsere eigenen Sitzungen und politischen Unterricht. Wenn der Hitlerismus vernichtet ist, dann wird sich die slowenische Nation ihre Zukunft selbständig gestalten, so hat es geheißen, und: "So viel wir uns erkämpfen werden, so viel werden wir auch erhalten." Nach dem Krieg war aber alles anders.

 

Vor der Aufnahme in die Partei schickten sie mich zuerst in die Parteischule, die war bei einem Bauern in der Solcava untergebracht, Dann kam aber die große Offensive auf die Solcava. Wir waren bis zum Mittwoch in der Parteischule gewesen, sie gaben uns die Zeugnisse einfach so, dann mussten wir uns verstecken. Ein Mann und eine Frau leiteten diesen Kurs, wir waren an die 30 in diesem Bauernhaus. Sechs Wochen hätte er dauern müssen, aber nur drei Wochen dauerte er. Wie es am schönsten wäre auf Erden, lauter so schöne Sachen trugen sie vor. Die Armee weg, komplett weg, die Religion ziemlich beiseite schieben, Religionen gäbe es sowieso so viele. Die werden sich untereinander nie einig sein, und der Kampf zwischen ihnen wird immer weitergehen. Einer von diesen politischen Kämpfern sagte: "Diese Maria war genauso eine Frau wie jede andere. Sie war keine Heilige, sie war eine Frau und hat Christus geboren, und der war ein fähiger Mensch." Und sie beschrieben ihn genauso, als ob er der erste Kommunist gewesen wäre.

 

Die Aufnahme in die Partei war dann nichts Besonderes mehr. Ein Komitee setzte sich zusammen und sagte dir, wann du aufgenommen worden bist. Neben den Parteisitzungen hatten wir auch noch politische Stunden für alle. Die abzuhalten war die Aufgabe des Sekretärs in der Einheit. Bei uns wurde manchmal ein Buch gelesen, gewöhnlich aber hat der Gašper gepredigt, er hat einfach gepredigt, er war ein alter Kommunist und beim Matjaž, dem Leiter der terenci, furchtbar beliebt. Der Gašper hat auch ziemlich kommandieren können. "Geh dorthin, dort hast du das und das zu tun." Du hast nicht mehr gewusst als das, was er dir diktiert hat. Aber das ist einerseits viel besser, dass nicht jeder alles weiß, damit es nicht zum Verrat kommt. Ich sage nur, je mehr Leute von etwas wissen, desto weniger kannst du dich verlassen. Das Gleiche galt für die Bunker. Je mehr Leute davon wussten, desto gefährlicher war es.

 

Ein Beispiel: Als wir beim Stock am Obir waren, da hatten wir auch einen Bunker. Der Exekutivausschuss war drinnen und es wurde gerade eine Parteischulung abgehalten. Einmal aber ist der vosovec Kolja von irgendwoher gekommen und hatte einen Begleiter mit. Nicht lange darauf wurde sein Begleiter gefangen genommen. Freilich, wie wir das erfahren haben, hieß es sofort, alles hinaus und den Bunker verlassen. In der Nähe waren auch noch die Kundschafter des Westkärntner Bataillons, die Polizei kommt von unten herauf, die Kundschafter sind genau über uns, und wir genau dazwischen. Die Polizei begann zuerst auf die Kundschafter zu schießen, die zogen sich zurück, da griff die Polizei unsere Wache an. Wir sind geflohen, die einen hierher, die anderen dorthin. Mit uns war aber auch ein Mädchen, das gerade erst zu den Partisanen gekommen war, und ich weiß nicht wie, aber sie ist eine Zeit lang geradewegs durch die Mitte marschiert. Auf einmal war sie alleine, und sie ist sechs Tage dort alleine gehockt, und das im Winter. Sie war so durchfroren, dass sie ihr die Beine wegschneiden mussten. Sie hörte die Partisanen, aber in ihrer Panik dachte sie, dass das Polizisten seien und traute sich nirgends hin. Sie war eine Anfängerin, vielleicht zwei, drei Monate bei den Partisanen. Wir schickten noch Patrouillen zurück, damit sie sie suchten, aber sie haben das Mädchen nicht entdeckt, und dann hatte sie eben diese Erfrierungen. Daran ist sie letztendlich auch gestorben.

 

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