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Gisela Herrnstadt-Steinmetz: Als Gesunder sollen sie mich nicht haben

Gisela (Gundl) Herrnstadt-Steinmetz, geb. 1916, Schneiderin. 1935 nach Paris, Eintritt in die französische Kommunistische Partei, ab Mai 1937 als Krankenschwester Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). Arbeit in der Zentralapotheke und in den Spitälern Vic und Mataró. 1939 Internierung in Frankreich, von dort nach Belgien, Kooperation mit dem belgischen Widerstand, Organisierung der "Mädelgruppe" (Kontaktaufnahme zu Wehrmachtssoldaten zwecks Beeinflussung und Agitation). Am 22. 7. 1944 bei Festnahme angeschossen.

 

Juli/August 1945 Rückkehr nach Wien. Lehramts- und Lektoratstätigkeit.

 

Verstorben 1998.

 

 

Man hat sich ansprechen lassen. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig das war. Unsere jungen Mädel hatten wirklich Schwierigkeiten, sich zwar ansprechen zu lassen, aber überhaupt nicht zu irgendeiner Konsequenz bereit zu sein. Das hat natürlich gewisse Probleme hervorgerufen, aber es war dann zum Glück so, dass doch sehr viele Soldaten eigentlich froh waren, überhaupt mit einem weiblichen Wesen offen reden zu können. Es sind uns ja auch Mädchen oft davongelaufen, weil sie gesagt haben, sie können nicht weiter, andererseits gab es auch welche, die Verhältnisse eingegangen sind. Es gab, soviel ich weiß, zwei echte große Lieben, wo also wirklich eine echte Liebe daraus geworden ist. Eine noch viel größere Schwierigkeit war, dass die deutschen Soldaten nie sehr lange in Belgien geblieben sind, es war mehr oder weniger Durchzugsland.

 

Also drei große Schwierigkeiten: die erste, sich aufreißen zu lassen und trotzdem klarzumachen, man ist nicht bereit, mit ihnen ins Bett zu gehen. Die zweite Schwierigkeit war das Überleiten zu einem allgemeinen politischen Gespräch, ohne dass man gleich als Agentin angesehen wurde. Und die dritte Schwierigkeit, die vor allem in uns selbst gelegen ist, bei unseren Parteimitgliedern, dass sie nicht als Kommunisten diskutieren sollen, dass es in diesem Kampf überhaupt nicht darum gegangen ist, die kommunistische Partei herauszustreichen, sondern dass es drum gegangen ist, den Krieg zu beenden. Als wichtigste Aufgabe: Schluss mit diesem Krieg! […]

 

Am 20. Juli [1944] war das Attentat auf den "Führer", und am 22. Juli bin ich verhaftet worden. Und zwar bin ich verhaftet worden, weil einer unserer Soldaten, Tankred Klein, der regelmäßig an der Zeitung mitgearbeitet hat, der ein Intellektueller war, einen Artikel für unsere Zeitung verloren hat. Er war sehr unvorsichtig. Er hat sich gedacht: Falls der Treff mit mir nicht klappt, was ja immer passieren konnte, kann er mir seinen Artikel ja an meine Postadresse schicken. Und er hat dieses Kuvert mit dem Artikel in der Straßenbahn verloren und kam zum Treff. Er hat gesucht und gesucht, meinte, er wisse nicht, wo der Artikel ist, anstatt mir zu sagen, dass er ihn samt dem Kuvert mit der Anschrift verloren hat. Dann wäre ich wenigstens gewarnt gewesen. In diesem Artikel hatte er aufgefordert, Hitler abzusetzen und zu beseitigen. Dieser Artikel kam an meine Postadresse, postlagernd auf der Hauptpost. Drinnen lag ein Stück Zeitungspapier. Ich habe nach der Befreiung erfahren, das sage ich jetzt nur zur Charakteristik, wie lose unsere Beziehungen zur belgischen Widerstandsbewegung leider waren: Wenn ein Stück Zeitungspapier im Brief war, so war das vom Postbeamten, der mit der Widerstandsbewegung gearbeitet hat, ein Zeichen, dass diese Postadresse beobachtet wird. Ich habe das nicht gewusst. Ich bekam dann einen Brief, wo mir ein Soldat, dessen Vater ein großer preußischer Politiker war, schon sehr konspirativ schrieb, ich solle ihm etwas zum Lesen bringen. Ich habe gewusst, das bedeutet: Er will Flugblätter haben. Und natürlich bin ich zu diesem Treff gegangen, der Soldat ist lange Zeit von mir bearbeitet worden, ich war über den endlich eingetretenen Erfolg froh, [...] ich bin auf alle Fälle hingegangen! Bei diesem Treff bin ich verhaftet worden, wie ich gesehen hab, ich komm nicht mehr aus, hab ich mir gedacht, wenigstens als Gesunder sollen sie mich nicht haben, ich lauf davon. Ich hab mein Fahrrad weggeworfen und bin gerannt. Bin eigentlich sehr gut gerannt. Die haben meine Identitätskarte verlangt, und während sie die Karte angeschaut haben, bin ich gerannt. Ich hatte mir das so ausgerechnet, dass ich in den Parc Royal, also in den königlichen Park, komme und dort verschwinde, aber sie haben mir nachgeschossen und mich mit einem Querschläger erwischt. Ich bin hingefallen. Der Soldat, der hinter mir gerannt ist, war bereits verhaftet. Natürlich war das ein Aufsehen, eine angeschossene Frau auf der Straße, in Brüssel, am helllichten Tag um vier Uhr nachmittag. Und da sagt der Gestapo-Mann: "Das ist die Führerattentäterin!" Ich bin stutzig geworden: Sie wissen also überhaupt nichts.

 

Sie haben mich ins Spital gebracht, und im Spital hat dann die Tortur begonnen. Ich muss dazu sagen, unsere Leute waren wunderbar für die Verhaftung vorbereitet, es hat in der ganzen belgischen Emigration nicht einen gegeben, der "gespieben" [verraten] hat. Sie waren sehr gut darauf vorbereitet, übereinstimmend auszusagen. Wie sie mich gefragt haben, wovon ich lebe, habe ich das Sprücherl aufgesagt, das alle aufgesagt haben: Man hat sich der Widerstandsbewegung angeschlossen wegen Geld, und man kriegt auch seine Lebensmittelkarten usw. Irgendeiner hat widersprechen wollen, da hat es geheißen: "Nein, nein, das stimmt schon, das haben ja alle gesagt." Wenn drei Jahre alle Leute das Gleiche sagen, funktioniert das wunderbar. [...]

 

Das Schienbein war zerschmettert, und das war für sie eine wunderbare Gelegenheit, mich zu quälen. Sie brauchten kein Werkzeug. [...] Ich hab ihnen einmal gesagt: "Wie stellen sie sich vor, dass ich vom" - ich weiß nicht, ich hab damals die Ortschaft vom Führerhauptquartier gewusst -, "dass ich da vom Osten nach Brüssel komme? Hat man für mich ein Flugzeug zur Verfügung gestellt oder wie? Das ist ja einfach absurd gewesen: Wie wär ich am 22. Juli in Brüssel, wenn am 20. Juli im Osten das Attentat war? Und ich wollte wissen, wie kam 's zu meiner Verhaftung? Sie haben mich nach meiner Adresse gefragt, und die wollte ich ihnen natürlich nicht geben. Da ist mir - darauf bin ich heute noch stolz - ein Genieblitz gekommen. Ich habe gesagt: "Sie waren doch sicher alle illegale Nazi. Ich bin überzeugt, wenn Sie in der Zeit, wo Sie illegal waren, gefragt worden wären, wer ihnen Quartier gegeben hat, hätten Sie 's auch nicht verraten. Unanständig!" Sie waren dermaßen baff: Erstens einmal waren 's keine illegalen Nazis, so viele Illegale haben sie gar nicht gehabt. Zweitens - allein sich einmal mit einer vollkommen neuen, nicht rollengemäßen Frage auseinanderzusetzen ..., gute zehn Minuten waren sie baff. Sie haben nicht gewusst, wie sie weitertun sollen, und haben aufgehört. Sie haben mich nicht mehr danach gefragt. Erst als ich hohes Fieber gekriegt habe, haben sie es noch einmal versucht. Sie sind unter Erfolgszwang gestanden, sie mussten ja mit irgendeinem Ergebnis weggehen. […]

 

Im Krankenhaus haben sie mich nicht geschlagen, aber das Bein vollkommen abgedreht. Das war im Militärspital, der Keller war für Häftlinge eingerichtet. Tagsüber ist entsetzlich gefoltert worden, und es war einfach unerträglich zuzuhören. Die Geräusche im Gefängnis, der Widerhall unten im Keller, waren furchtbar. Und ich habe mir angewöhnt, mich nachts aufs Verhör vorzubereiten, tagsüber zu schlafen, um das nicht zu hören. Ich habe das einstudiert wie eine Rolle. Die ganzen Nächte bin ich gelegen, habe mir genau überlegt, welche Fragen können kommen, wie soll ich darauf antworten, wie reagiere ich darauf. Ich bin so um drei Uhr früh eingeschlafen und ungefähr um acht oder schon vor acht zum Verhör geholt worden. Ich habe das mit allem, mit Pausen, mit Überlegungen, mit allem, was zu einer angeblich spontanen Reaktion gehört, einstudiert, und das hat phantastisch funktioniert, sodass die tatsächlich geglaubt haben, sie haben mich echt gefügig gemacht.

 

Die haben geglaubt, dass Sie unfähig sind, ihnen was Handfestes zu liefern, aber durchaus nicht unwillig?

 

Genau, dass ich das nicht weiß, weil ich ja nur ein kleiner Fisch bin und keine Ahnung habe, was sich da wirklich abspielt, und das gemacht habe, weil ich wirklich für den Frieden bin. Ich habe ihnen bei dieser Gelegenheit immer wieder erzählt, wie brutal und niederträchtig diese ihre Razzien sind, wo sie die Leute einfach auf der Straße weggeholt und nach Deutschland zur Arbeit geschickt haben. Dass ich mich natürlich wehre dagegen, auf der Straße einfach verhaftet zu werden, um als Arbeiterin nach Deutschland transportiert zu werden, dass ich gegen den Krieg bin - also das, was ich so einbauen konnte an Politischem, habe ich eingebaut. Und an sich bin ich ja ein kleiner Fisch, der eine Weltanschauung hat, die jeder teilen kann, der für den Frieden ist ...

 

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