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Anna Maria Kretschmer: Im Großen und Ganzen war es Kleinarbeit

Anna Maria Kretschmer geb. Fantl, geb. 1919 in Wien, Besuch der Bundes-Lehrerinnen-Bildungsanstalt, Gruppenführerin im Katholisch Deutschen Studentenbund und im Katholischen Jungvolk. Nach dem "Anschluss" Arbeit als Horterzieherin, Schreibkraft und später als Hilfsarbeiterin in den Siemens-Schuckert-Werken, Aufbau und Mitarbeit in einer illegalen Pfarrjugendgruppe in der Pfarre Gumpendorf, Vervielfältigung und Verteilung von Flugblättern, Hilfe für tschechische Zwangsarbeiter.

1945 Volksschullehrerin, 1948-1978 Mitarbeiterin des Schulpsychologischen Dienstes in Wien, dazwischen Lehrbefähigung für Sonderschulen, freie Mitarbeiterin im Rundfunk, Autorin pädagogischer Bücher und Artikel.

Verstorben 2010.

 

 

Ich war Pfarrjugendführerin in der Pfarre Gumpendorf. Wir durften ja nur Glaubensstunden halten und Andachten innerhalb der normalen Gepflogenheiten. Das haben wir natürlich nicht eingehalten. Wir haben alle Möglichkeiten versucht, uns zu treffen. Auftakt dafür war das Rosenkranzfest im Oktober [7. Oktober 1938], wo Kardinal Innitzer in den Stephansdom gerufen hat und wir es alle gewusst haben - es war ein Schneeballsystem, ich weiß nicht, woher und wieso. Wir haben uns natürlich ausgemacht, wir gehen gemeinsam hin, und es war ein Erlebnis: Je näher man der Stadt gekommen ist - wir sind alle zu Fuß gegangen, es war schönes Wetter -, desto mehr ist von allen Seiten Jugend geströmt in kleinen Gruppen. Wir haben zuerst gesagt, das gibt's doch nicht, dass die alle in die Stephanskirche gehen. Aber sie sind gegangen! Wir waren so begeistert und angefeuert durch dieses Erlebnis des vollen Domes, dass Kardinal Innitzer, den wir ja wegen seiner Unterwürfigkeit dem Nationalsozialismus gegenüber nicht sehr geliebt haben, plötzlich gesagt hat: "Unser Führer heißt Jesus Christus." [...]

 

Und von da an ist die Arbeit in den Pfarren unerhört intensiviert worden. Über die Glaubensstunden hinaus habe ich in meiner Wohnung eine Gruppe geführt. Wir waren wöchentlich immer so acht bis zehn, vielleicht noch mehr Mädchen. Unter uns war im 1. Stock Wachstube und Kommissariat der Polizei, daher sind wir einzeln gekommen und einzeln und möglichst leise gegangen. Es war sehr oft der Pater Beda Döbrentei mit bei uns, natürlich auch in Zivil. Wir haben da unsere Kraft geschöpft, wir haben diskutiert, wir haben gesungen, wir haben miteinander überlegt, wie können wir helfen, dieses "Dritte Reich" doch kürzer als tausend Jahre wachsen zu lassen. Dazu aber hat es auch praktischer Arbeit bedurft: Es hat damals weit über die Grenzen seiner Diözese hinaus ein Hirtenbrief des Bischofs Graf Galen Aufsehen erregt, in dem er die Euthanasie verurteilt hat, die allenthalben von den Nazis praktiziert wurde. Als wir kurz darauf ein Exemplar dieses Briefes bekamen, wurde es sofort mit Durchschlägen abgeschrieben und an Bekannte und Unbekannte ins Feld geschickt. Das Gleiche machten wir mit den Mölders-Briefen. Auf diese Weise haben wir versucht, in das politische Geschehen mit einzugreifen. Dazu am Rand ein Erlebnis, das uns alle amüsiert hat, das aber sehr bös enden hätte können: Sehr eifrig an der Vervielfältigung der Mölders-Briefe hat auch die Schwester Pater Bedas mitgetan, und als er eines Sonntags mit einem ganzen Pack solcher Kopien aus der Straßenbahn auf der Mariahilferstraße ausstieg, rutschten ihm diese aus seinem Gürtel, in den er sie gesteckt hatte, und fielen auf die Straße. Da kam - so hat er uns das kurz nachher erzählt - ein Polizist gelaufen und half ihm eifrig beim Einsammeln der Blätter. Wenn der gewusst hätte ...

 

Im Großen und Ganzen war es Kleinarbeit, die wir geleistet haben; in der Pfarre, um die Pfarre herum, im Freundeskreis. Aber ich glaube, dass es gerade auf diese Kleinarbeit angekommen ist, zu zeigen, dass etwas gemacht werden kann, und damit andere zu animieren. So haben wir z. B. von Zeit zu Zeit nach der Sonntagsmesse richtig Werbung betrieben: Wir haben uns zu den Kirchenausgängen gestellt, je eine oder einer an jeder Seite des Tores, und haben die jungen Leute angesprochen, die herausgekommen sind, und haben ihnen gesagt: "Wir haben Glaubensstunden; wenn du Lust hast, komm doch zu uns, wir würden uns freuen!" Wir haben ihnen gesagt, wann und wo - und ich muss sagen, dass da sehr viele mitgetan haben und dass wir eine ganze Reihe von Leuten geworben haben. Eine hat damals gesagt: "Ich hab' euch immer schon beneidet, wenn ich euch beisammenstehen gesehen hab' in der Kirche, wenn ihr gesungen und gebetet habt in den Gemeinschaftsmessen. Ich wär' immer schon gern dabei gewesen." Und so haben wir die Leute bekommen. Wir sind auch in die Familien gegangen wegen des Kirchenbeitrags. Der Kirchenbeitrag konnte ja nicht eingefordert werden. Er ist damals unter der Nazizeit eingeführt worden und uns bis heute erhalten geblieben. Es haben also die, die sich getraut haben in unserer Gruppe, jeweils einen Sprengel übernommen und sind von Tür zu Tür gegangen, haben sich vorgestellt: "Wir kommen von der Pfarre, wegen des Kirchenbeitrags. Dürfen wir mit Ihnen darüber sprechen?" Ich muss sagen, es haben uns die meisten eingelassen. Wir haben mit vielen debattiert, dann natürlich nicht nur über den Kirchenbeitrag. Vielleicht wär' manches sogar gefährlich gewesen, aber in der Jugend merkt man ja nichts und traut sich viel mehr! Wenn ich heute überleg', dass wir hätten in unrechte Hände fallen können und von daher schon hätten angezeigt und eingesperrt werden können, dann seh' ich schon, dass das gar nicht so einfach war. Aber uns hat das damals gar nichts bedeutet. [...]

 

Zu den sehr gefährlichen Dingen hat gezählt, dass in der Zeit der Judendeportationen unser Jugendseelsorger Pater Beda eines Tages zu uns gekommen ist und gesagt hat, es wäre eine Frau zu verstecken, eine Konvertitin, die große Angst vor der Deportation hat. Und es hat sich in der Pfarre eine der Jugendlichen gefunden, die diese Frau eine Zeitlang beherbergt hat, bis diese selber gesagt hat, es hat keinen Sinn, und ausgezogen und natürlich verschickt worden ist.

 

In kleinen Gruppen wurden immer wieder Wanderungen, Fahrten, Tagungen übers Wochenende oder über längere Feiertage wie Ostern und Pfingsten unternommen. [...] Einmal zu einem Marienfeiertag, ich weiß nicht mehr das Jahr, wurde von der Diözese zu einer Wallfahrt nach Gugging bei Klosterneuburg eingeladen. Wir wurden dann noch verständigt, dass nicht erlaubt ist, gemeinsam hinauszuziehen, auch nicht in Gruppen, sondern man darf sich erst draußen bei der Lourdes-Grotte treffen und dort eine Marienfeier abhalten. Daran haben wir uns natürlich nicht gehalten. Zumindest die Pfarrgruppen sind gemeinsam gegangen. Wir wurden auch prompt im Wienerwald sehr bald von HJ umzingelt. Wir haben gefragt, was sie von uns wollten, wir könnten doch einen Ausflug machen. Aber das hat uns nichts genützt, sie haben die über 21-Jährigen mitgenommen auf die Wachstation. Nun war ich eine von denen, hab' im Rucksack die Gebetbücheln gehabt, die Liederbücher für die Feier draußen in Gugging, und außerdem hab' ich meine persönlichen Aufzeichnungen bei mir gehabt, Adressen, Namen von Freundinnen, Telefonnummern. Wir haben uns dann verständigt untereinander, vorsichtig, und zwei von unserer Gruppe, d. h., es waren zwei von der Pfarre Mariahilf, haben links und rechts einen solchen HJler flankiert, haben ihn in Gespräche verwickelt, und ich hab' in der Zwischenzeit die Adressen aus meinem Kalender herausgerissen, ganz klein zerrissen, in kleine Stückchen, dass man es nicht mehr lesen konnte, und im Wienerwald verteilt, so dass, wie wir hingekommen sind, nichts mehr da war. Sie haben dann unsere Personalien aufgenommen und haben uns auch - soviel ich weiß - nicht mehr weitergehen lassen. Wir mussten dann nach Hause. [...] Geschehen ist uns nichts nachher, aber man hat natürlich das ungute Gefühl gehabt, jetzt bin ich irgendwo registriert. [...]

 

Eine weitere Möglichkeit, sich zu treffen, waren die Dekanatsrunden, die in gleichmäßigen Abständen - ich gaube einmal monatlich - von allen Pfarrjugendführern und -führerinnen dieses Dekanats besucht wurden. Da waren wir unter uns, es hat absolut keine Gefahr bestanden, dass wir von irgendwoher bespitzelt würden. [...] In unserer Pfarre wurde die Arbeit sehr vorsichtig weitergeführt, weil inzwischen unser Pfarrer, der Hofrat Blaha, eingesperrt worden war. [...] Wir haben doppelt vorsichtig sein müssen, aber wir haben im Rahmen des Möglichen gearbeitet.

 

 

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