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Karl Rössel-Majdan: Nach allen Seiten abstinent

Karl Rössel-Majdan, geb. 1916 in Wien, Jusstudium. Nach dem "Anschluss" Aufbau einer illegalen Studentengruppe. Herbst 1938 Mitbegründer der "Großösterreichischen Freiheitsbewegung". 1939 Einrücken zur Deutschen Wehrmacht. Festnahme am 22. Oktober 1940, am 29. Juni 1944 vom Volksgerichtshof wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. März 1945 Flucht aus dem Zwangsarbeitslager Wien-Lobau, lebt bis Kriegsende als "U-Boot" bei einem Bekannten, Beteiligung an den Kämpfen in Wien.

Nach Kriegsende Promotion zum Dr. phil. und Dr. rer. pol., als Schriftsteller tätig, leitende Funktionen u. a. im ORF.

Verstorben 2000.

 

 

Wir Kinder sind dann [in den 1920er Jahren] oft ins Belvedere oder zur Südbahn hinauf in den Schweizer Garten spielen gegangen, wenn Freizeit war, und dort erlebte man langsam immer mehr radikale Banden. An das erinnere ich mich, es war manchmal schwierig für uns. Mein Bruder [Viktor Rössel-Majdan] war zwei Jahre jünger als ich, und ich als etwas älterer Bub hab ihn immer verteidigen müssen, denn er war eher der, der zurückgeschnabelt hat, wenn uns irgendwer angestänkert hat. Und da tauchen in meiner Erinnerung immer mehr Leute auf, die irgendwelche Binden umgehabt haben, Abzeichen gehabt haben usw. und die auch übereinander hergefallen sind. [...] Da sah man eine gewisse Krise heraufziehen; radikale Elemente von rechts und von links versuchten da, na ja, Machtpolitik zu betreiben und vielleicht auch Einschüchterung oder revolutionär zu sein. [...]

 

Mein Vater war aufrecht, Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle, alles Hinterhältige war ihm zuwider, und er ist sofort offen gegen den Nationalsozialismus aufgetreten, wie der gekommen ist, hat Leitartikel geschrieben im "Neuen Tagblatt" damals, da wurde er eingeladen, und zwar als früherer Maria-Theresien-Ritter. [...] Er wurde von Schuschnigg einmal eingeladen, erinnere ich mich noch, er sollte mit anderen Theresien-Rittern, die so angesehen sind im Militär, beim Bundesheer mit Schuschnigg herumreisen und die Offiziere überzeugen, dass sie nicht Nazi sein dürften. Er hat damals Schuschnigg glatt in seiner offenen Art gesagt: "Herr Kanzler, wenn solche Lumpen in der Armee sind, dann knüpfen Sie sie auf. Mit mir hat das nichts zu tun." Also das nur zur Charakteristik. Es war daher klar, dass die Familie schlecht angeschrieben war. Er war sicher kein Kommunist und auch kein Sozialist, er war aber auch auf der andern Seite genauso frei und offen, und das färbt irgendwie ab, auch auf uns Jugendliche hat das abgefärbt. Man soll sich jedenfalls immer nur aus Überzeugung betätigen und nicht aus Vorteilsgründen irgendwo unterschlüpfen wollen. Das haben wir verachtet. [...]

 

Der Vater selbst wurde später als Opernsänger und Spielleiter nach Deutschland hinausversetzt. Er hat einen Posten dort bekommen und hat in Saarbrücken als Spielleiter dann bei beginnenden Naziunruhen, als sich ihm ein Angestellter der dortigen Bühne, der Saarbrückner Landesbühne, vorstellte, er sei der neue Gauleiter, hat er den einfach am Kragen genommen und die Stiege hinuntergeworfen. Er musste dort weg, das Saarland wurde ja angeschlossen, er kam nach Wien und hat einen Posten erreicht an der Musikhochschule. [...]

 

Während der Vater in Deutschland war, mussten wir irgendwo in der Schule unterkommen. Meine Mutter ist mit ihm nach Deutschland gegangen. Wir wurden daher dann - weil ein Onkel, der sich später als Nazi entpuppte, in der Nähe wohnte in Kärnten - in das Konvikt St. Paul eingeschrieben. Und nun haben wir von St. Paul aus die politische Entwicklung am Land erlebt. In Kärnten verbreitete sich der Nationalsozialismus. In der Klasse gab es einen einzigen Juden - wir lebten ja auch im Konvikt zusammen -, und der wurde fast täglich verprügelt, und zwar sowohl von den Anhängern des Heimatschutzes wie von den künftigen Nazi, die beim Turnerbund oder Ähnlichem waren, denn im Gymnasium waren ja auch Kärntner als Externisten eingeschrieben. Und nun hab ich mich jedes Mal vor den Juden gestellt; es gab Prügeleien, ich musste immer raufen bis aufs Letzte, um den zu schützen. [...] Ich war nie tätig in politischen Organisationen - eben auch aus diesen Jugendeindrücken heraus, dass damit nur Hass gesät wird gegeneinander - und hab nicht sehr viel gehalten davon. Dann das Versagen der Weimarer Republik, das man vor Augen hatte, wo alle das verschlafen haben, was kommt. Das Versagen der Parteien in Österreich, die auch nur gegeneinander und nicht zueinander gefunden haben, und vor allem hat man bei allen Parteien die Tendenz gespürt, wenn wir die Macht bekommen, dann üben wir sie aus, d. h., es gibt wieder keine Freiheit, sondern wir sind die, die dann eben die Macht haben. Auch wenn sie demokratisch gehandhabt wird, aber Demokratie kann auch eine Diktatur einer Mehrheit sein. Also daher waren wir eher abstinent, nach allen Seiten abstinent, obwohl wir z. B. das soziale Gedankengut äußerst geschätzt haben.

 

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