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Otto Horn: Eine unrechtmäßige Aktion

Otto Horn, geb. 1923 in Wien, Bauabrechner. Nach den "Nürnberger Gesetzen" "Mischling 1. Grades". Betätigung für die Widerstandsorganisationen "Sonderabteilung NN" und "Wiener Mischlingsliga", die Verfolgte nach den "Nürnberger Gesetzen" zusammenfasste. Festnahme Ende Februar 1944, am 21. September 1944 vom Volksgerichtshof wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Bis 6. April 1945 in Haft.

Nach der Befreiung 1945 Rückkehr nach Wien. Journalist und Schriftsteller.

Verstorben 1991.

 

 

Wir wohnten am Stadtrand von Wien, auf dem Heuberg, in einem Siedlungshaus. Das war eine "rote" Siedlung, denn es gab dort eine eigene Ortsgruppe der sozialdemokratischen Partei. Ich bin in Hernals ins Realgymnasium gegangen, das später unter den Nazis in "Deutsche Oberschule für Jungen" umbenannt wurde, und habe dort im Jahre 1941 die Matura gemacht. Als "Mischling 1. Grades" durfte ich nicht studieren. [...]

 

Eine Sache möchte ich noch erwähnen, denn das war vielleicht der zweite Tag, der eine große Rolle für mein künftiges Leben spielte. Das war ein Tag im März 1939, ich kam gerade von der Zeugnisverteilung heim, meine Eltern begleiteten mich. Als wir zu unserem Siedlungshaus kamen, sahen wir, dass unsere Möbel auf der Straße standen. Ein paar SA-Leute hatten sie herausgeholt, nachdem sie die Tür aufgebrochen hatten, und ein illegaler Nazi hatte bereits das Haus bezogen. Wir riefen die Polizei, ein Polizist kam auch und sagte, dass das eine unrechtmäßige Aktion sei. Er ging aber wieder weg. Ich hielt ihn zurück und fragte: "Was tun Sie jetzt, was geschieht?" Darauf hat er geantwortet: "Ich habe den Leuten das Unrechtmäßige ihres Tuns vorgehalten, zu mehr bin ich nicht befugt." Wir wurden vom zuständigen Ortsgruppenleiter der NSDAP in eine jüdische Villa in Dornbach eingewiesen, wo wir bis zum Jahre 1941 blieben.

 

Es passierte noch eine dritte folgenschwere Sache, und zwar auch im Jahre 1939, zu Pfingsten. Damals kam die Polizei in Zivil und nahm alle Leute, die in dieser jüdischen Villa wohnten, fest und brachte sie ins Polizeigefängnis, mich eingeschlossen. Der Grund dafür war, dass die Besitzerin dieser Villa verdächtigt wurde, ein Devisenvergehen begangen zu haben. Sie war ungefähr ein Jahr im Polizeigefängnis. Man nahm aber uns alle einfach mit, und so verbrachte ich fünf Tage im Gefängnis. Das war der dritte wichtige Erfahrungstag in meinem jungen Leben. Alle diese Erfahrungen veranlassten mich, ganz entschieden und bewusst gegen die Nazis kämpfen zu wollen, und nachdem meine Freunde von der Katholischen Jugend im Krieg waren, versuchte ich krampfhaft, andere Gleichgesinnte zu finden. [...]

 

Die Israelitische Kultusgemeinde hat sich um die "Mischlinge" überhaupt nicht gekümmert, was auch verständlich ist, sie waren ja nicht mosaisch. Die "Mischlinge" haben nie der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört, sonst wären sie nach dem Gesetz "Geltungsjuden" gewesen. "Mischlinge" waren in erster Linie davon betroffen, dass sie nicht studieren durften und dass sie - und das war ja vielleicht nicht das Schlimmste - nicht in der Deutschen Wehrmacht dienen durften. Das galt allerdings erst ab 1941. Bis dahin mussten "Mischlinge 1. Grades" in der Deutschen Wehrmacht dienen, aber sie durften nicht mehr als Obergefreite werden, weil Hitler auch nicht mehr als ein Obergefreiter war. Nach 1941 wurden sie und auch "jüdisch versippte Arier", also Männer, die mit einer Jüdin verheiratet waren, aus der Wehrmacht entlassen. Das war natürlich kein Schaden. Der wirkliche Schaden war, dass "Mischlinge" nicht studieren konnten und dass "Mischlinge" keine "Arier" heiraten durften. Man hätte als "Mischling" also praktisch wieder nur einen "Mischling" heiraten können oder einen Juden, dann wäre man auch "Geltungsjude" geworden. So waren die rein gesetzlichen Beschränkungen. Aber de facto wurden auch die meisten so genannten "privilegierten Mischehen" aus ihren Wohnungen vertrieben, und die Kinder mussten miterleben, wie die Eltern ihre Posten verloren, der jüdische Elternteil konnte höchstens in einer Fabrik oder beim Straßenbau unterkommen, der "arische" Elternteil wurde, wenn er z. B. Beamter war oder in irgendeinem öffentlichen Dienstverhältnis stand, zwangspensioniert. Alle diese erheblichen Einbußen des Lebensstandards mussten natürlich die "Mischlinge" miterleben. Daneben gab es natürlich auch gegenüber "Mischlingen" Ausschreitungen. Wenn beispielsweise ein "Mischling" irgendwem unsympathisch war, konnte man ihm auch ein paar Ohrfeigen geben, ohne dabei etwas zu riskieren.

 

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