logo
logo

Franz Hahn: Auf das Schlimmste gefasst

Franz Hahn, geb. 1913 in Nové-Zámky (Slowakei), in Wien aufgewachsen, Arzt. Als Jugendlicher Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und der Roten Falken. Oktober 1942 gemeinsam mit seiner Mutter Deportation in das Ghetto Theresienstadt, von dort am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz, wenige Tage später in das KZ Oranienburg und weiter in eines der Kauferinger Lager (Außenlager von Dachau). Während des "Evakuierungstransports" Befreiung durch amerikanische Truppen in der Nähe von München.

Rückkehr nach Wien.

Verstorben 2000.

 

 

Es kam der März 1938, na und damit war für uns Juden das Studium aus. Mir hat noch das dritte Rigorosum gefehlt, das ist sehr viel, und sogar noch die Kinderheilkunde-Wiederholungsprüfung. Eines schönen Tages kam aus Berlin die Weisung, dass die jüdischen Studenten im Abschlussstadium die noch ausständigen Prüfungen ablegen dürfen - binnen sechs Wochen! Also, das war fürchterlich. Die österreichischen Professoren waren über diese Mitteilung schockiert und wütend. Da haben sie plötzlich begonnen, uns zu helfen. Es ist fast niemand durchgeflogen. Durchgeflogen ist ein Kollege bei einem alten Hygieniker, der aus der Versenkung geholt wurde, schon lang pensioniert war, weil der aktive Professor im Spital gelegen ist und wir ja die Prüfungen machen mussten. Der hat nicht begriffen, um was es geht. Der hat so geprüft wie in seiner guten, alten Zeit als Professor. Auf der anderen Seite hat 's zum Beispiel Folgendes gegeben: Zum dritten Rigorosum in der Medizin gehört Augenheilkunde. Die Augenheilkundeprüfung umfasste einen kleinen Teil reine Theorie, dann, wichtig vor allem für Brillenbestimmungen, Augenspiegeln sowie das Erkennen von Veränderungen an der Netzhaut und Operationen. Da wurden vom Schlachthaus Schweinsaugen gebracht, die wurden eingespannt, an diesen Augen wurden halt die typischen Operationen durchgeführt. Die Augenspiegelkurse haben allein vier bis sechs Wochen gedauert. In sechs Wochen sollte ich aber alle Prüfungen machen! Wir sind voller Entsetzen, ich glaube, wir waren fünf, in die Klinik Prof. Josef Meller, ins Allgemeine Krankenhaus gelaufen - Meller wurde als Nazi im Jahr 1945 gefeuert. Wir erzählten dem Assistenten, dass wir innerhalb von sechs Wochen alle Prüfungen machen müssen, daraufhin telefonierte dieser mit Professor Meller, legte den Hörer auf, setzte eine ironische Amtsmiene auf und sagte: "Der Herr Professor Meller kann als Nationalsozialist nicht verantworten, dass 'arische’ Patienten von jüdischen Studenten untersucht werden. Er streicht Ihnen infolgedessen die ganze Spiegelei und prüft sie nur theoretisch und Operationen am Schweinsaug'. Und das lernt ihr in zwei Tagen." Das war der einzige Weg, den fünf Studenten zu helfen. Und wie wir dann zur Prüfung angetreten sind, wenn wir ihm gesagt hätten: "Der Mensch hat drei Augen", da hätte er gesagt: "Bitt' schön, wo ist das dritte, Herr Kollege?" Er hat sich gewunden unter manchen blöden Antworten, hat aber keinen durchfallen lassen. [...] Ich habe promoviert am 22. Juli 1938, war aber als Jude nicht würdig, beim hippokratischen Eid das Zepter der Universität zu berühren. Also mussten wir den Eid, der vorgedruckt war, unterschreiben. Auf meinem Diplom, ich hab 's nicht umgetauscht, auf meinem Diplom steht auch heute noch unten rot draufgedruckt, dass ich mich verpflichten muss, im Gebiet des ehemaligen Österreich keine ärztliche Tätigkeit auszuüben. [...]

 

Ich war immer ein guter Radfahrer und hab ein Fahrrad besessen, zwar alt, aber gut, und mit Beginn des "Anschlusses" bin ich auf dem Fahrrad gesessen. Ich hab immer gesagt: Das Fahrrad ist der sicherste Platz für einen Juden, und ich bin mit der kurzen Hosen und mit dem Fahrrad durch die Gegend gestrampelt. Hab mich mit meinen "arischen" Freunden getroffen, wir sind ins damalige Überschwemmungsgebiet im Sommer baden gegangen. Dann kam der 10. November, man hörte das und das und das. Ich war auf das Schlimmste gefasst. Als es an der Tür läutete, erschrak die Mutter furchtbar. Ich habe aufgemacht, steht der Briefträger draußen und schaut mich an wie ein Gespenst, weil ich als junger Jude noch nicht verhaftet war! Unter der Post war eine Postkarte vom Rothschildspital, mit der Aufforderung, auf Grund meines Ansuchens in der Direktion vorstellig zu werden. Ich habe mir die Karte eingesteckt, hab mich aufs Radl gesetzt und bin ins Rothschildspital gestrampelt, durch die grölenden Massen. Im Rothschildspital, da herrschte große Aufregung, wie man sich vorstellen kann, alle liefen durcheinander, Verletzte wurden eingeliefert. Die Sekretärin des Direktors hat mich hinausgeschmissen, ich hab mich wieder auf mein Fahrrad gesetzt und bin nach Hause gefahren. [...] Wir saßen zu Hause beisammen, die Mutter, ich und unsere Untermieter, ein älteres Ehepaar. Da kommt vom gleichen Gang eine Frau, weinend, weil vor einer halben Stunde ihr Untermieter und ihr Sohn verhaftet worden sind. [...] Die sind nach zwei Tagen wieder nach Hause gekommen, sie sind in Wien eingesperrt gewesen. [...]

 

Die Familie väterlicherseits, die in Amerika war, schickte Affidavits für Mutter und mich. Doch von jeder Quote durften pro Jahr soundso viele rein, die österreichische Quote natürlich bumsvoll und die tschechische Quote fast leer. Für meine Mutter galt die österreichische Quote, für mich, ich bin in der Slowakei geboren, die tschechische Quote. Darauf habe ich erklärt, ich bin nicht in Wien geblieben, damit ich die Mutter jetzt erst recht alleine lasse, ich wollte warten, bis auch meine Mutter mit ihrer Quote drankommt. Ich habe meinen Posten im Rothschildspital angetreten und bin jeden Tag brav mit dem Fahrrad zum Währinger Gürtel gestrampelt. Dann ist die Quote meiner Mutter drangekommen und wir haben unsere Papiere erhalten, die amerikanischen Verwandten haben uns die Überfahrt gebucht. Aber 14 Tage später war der Angriff auf Pearl Harbor und Amerika trat in den Krieg ein. Nun musste ich wieder mit der Mutter hierbleiben. 1942 musste das Rothschildspital weg, weil es wurde ein SS-Spital, und da wurde im 2. Bezirk, in der jetzigen Talmud-Thora-Schule, ein Spital eingerichtet. Da hat man mir gesagt, ich kann in dem kleinen Spital bleiben, aber die Mutter geht nach Theresienstadt. Darauf habe ich dem Mann erklärt: "Pass auf, erstens einmal bin ich in Österreich geblieben wegen der Mutter, ich bin ein zweites Mal in Österreich geblieben wegen der Mutter, und jetzt soll ich in Wien bleiben und die Mutter nach Theresienstadt schicken? Ich gehe mit ihr!" Na, dann bin ich mit der Mutter nach Theresienstadt deportiert worden. So habe ich mich also doch durchgesetzt und habe die Mutter in Theresienstadt durchgebracht. Meine Mutter hat überlebt, denn in der Zeit, als ich überhaupt keinen Kontakt mit ihr gehabt habe, als ich über Auschwitz, Oranienburg, Sachsenhausen in ein Lager nach Bayern gekommen bin, ist die Mutter Anfang 1945 in einem der ersten Transporte gewesen, die von Theresienstadt in die Schweiz gegangen sind. Ich habe sie 1946 dann wieder zurückgeholt.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: