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Hans Schiller: Wir müssen die Sprengung verhindern!

Hans Schiller, geb. 1903 in Wien. 1917 Laufbursche für Wiener Bankverein, 1919 Modelltischlerlehrling. Sozialistische Arbeiterjugend, im Wiener Elektrizitätswerk beschäftigt, Sektionsleiter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bis 1934 sowie Zentralkassier der Gewerkschaft der Angestellten der Stadt Wien. Leiter der Revolutionären Sozialisten Wien-Favoriten. Februar 1937 verhaftet, anlässlich der Weihnachtsamnestie 1938 aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen. Nach dem März 1938 Wiedereinstellung im E-Werk. 1945 Mitglied einer Widerstandsgruppe.

Verstorben.

 

 

Ende März 1945 ist vom damaligen Reichsstatthalter Schirach Wien zur Festung erklärt worden; zugleich wurde gesagt: Wien wird verteidigt. Die Brücken und die großen Werke wurden zur Sprengung vorbereitet. Unter diesen großen Werken war auch das Wiener Elektrizitätswerk. Nun hat es im Wiener E-Werk damals schon, wie die ganze Zeit unter der Nazi-Herrschaft, Widerstandsgruppen gegeben. Das waren sozialistische, kommunistische und christliche Gruppen. Aber es hat auch eine Verbindung zur militärischen Widerstandsgruppe des Major Szokoll gegeben. Diese Widerstandsgruppen waren alle untereinander bekannt, obwohl nie jemand genau gewusst hat, was der eine macht und wo er steht, aber es hat doch jeder gewusst, der steckt drin. Es war keine Organisation, sondern nur Personen, von denen man gewusst hat, dass sie irgendetwas machen. Auch der Kontakt ist nur von Person zu Person gegangen. Man hat sich gekannt, zum größten Teil waren das die Funktionäre der früheren Jahre, die sich getroffen und geredet haben: "Gibt es was Neues? Weißt was?" - "Nein, bei uns ist nichts los." Aber man hat nie gesagt, wo oder was. Das war tatsächlich so oberflächlich.

 

Wie die Russen wirklich gekommen sind, am 1. und 2. April hat man schon gewusst, dass sie in der Nähe sind und dass alles verloren ist. Am 6. April hatten die Russen vom Westen her bereits einen Belagerungsring gelegt, am 7. April ist der 10. Bezirk besetzt worden und am 8. April war die Gürtellinie vom 10. bis zum 19. Bezirk besetzt. Im E-Werk hatten die Nazi alle Mitarbeiter heimgeschickt. Es hat niemanden mehr gegeben, der Dienst gemacht hätte. Man hat am 1. April zwei Monatsgehälter statt einem ausbezahlt - für April und Mai - und hat den Menschen gesagt, sie würden wieder gerufen werden.

 

Nun haben wir, eine kleine Gruppe, zu der der Kollege Holzmann, der Kollege Strohmaier und ich gehörten, uns überlegt: Nachdem das Werk bereits untermint und zum Sprengen bereit war, müssen wir jetzt handeln, weil, wenn wir denen Zeit lassen, ist das Werk weg! Wir müssen die Sprengung verhindern! Am 7. April haben wir nach Dienstschluss, als alle weg waren, zum Dr. Gabler, der damals der Direktor war, Leute in sein Büro geschickt. Wir haben aber die Leute abgesichert. Wir haben ja nicht gewusst, wie er reagieren wird. Wir haben zwar alle den Dr. Gabler aus der Zeit vor 34 gekannt - der war damals auch Funktionär der Gewerkschaft -, aber man hat nicht gewusst, ist er ein Nazi und wie weit ist er ein Nazi. Wir haben den Herrn Strohmaier und den Herrn Holzmann zu ihm geschickt. Die zwei Leute haben mit ihm verhandelt, und wir haben ausgemacht, wenn sie sich nicht in 20 Minuten melden, dann kommen wir hinein. Die haben sich nicht gemeldet und nach 22 Minuten kommt auf einmal der Holzmann heraus und sagt: "Meine Herren, kommt alle mit hinein." Dieser Dr. Gabler hatte in der Zwischenzeit erklärt, er werde auf keinen Fall das Werk sprengen und er sei nicht bereit, sein Lebenswerk selber zu vernichten. Das war schon der halbe Gewinn. Jetzt haben wir ihm angeboten, wir stellen ihm ein Dienstauto zur Verfügung, er könne seine Frau abholen, und wir werden ihm Benzin mitgeben, einen 150-Liter-Kanister Benzin. Wir haben ihm gesagt: "Ab nach dem Westen, da schaun S’, ob Sie unterkommen." Er selber hat gesagt: "Wem soll ich die Leitung übergeben?" Jetzt haben wir einzig den Strehmaier gehabt, nur war der kein Elektroingenieur, sondern Maschinenbauingenieur aus der Schule in Pula. Der hat die Marineschule gemacht. Dem hat er schriftlich die Direktionsbefugnisse übertragen. Damit war die Sache für uns gelaufen, und wir haben das Werk vor der Sprengung bewahrt. Wir haben uns dann unterhalten. Was machen wir jetzt? Wir sind Direktor und Personalvertreter, aber kein Werk haben wir in Betrieb. Zunächst haben wir eine provisorische Leitung zusammengesetzt. Das war der Ing. Strehmaier als Direktor, wie wir ihn genannt haben, der Kollege Holzmann und ein gewisser Strohmaier. Diese drei Herren spielten Direktion; von der Personalvertretung wurden ein gewisser Berthold, ein gewisser Pölzer und ich bestellt. Diese sechs Herrn haben bis zum Jahre '48 die Direktion gemacht. [...]

 

Die so zusammengesetzte Direktion beriet nun, was zu tun sei: "Jetzt schauen wir einmal, was in den Werken los ist." Der Dr. Mokesch hat uns gesagt, dass sein Werk am 6. April und die Engerthstraße am 11. April abgeschaltet worden ist. Jetzt haben wir den Dr. Mokesch ersucht, er soll zu uns kommen. Der ist nach irgendwelchen Husarenritten von Simmering in die Mariannengasse gekommen und hat gesagt: "Das Wichtigste ist, wir brauchen Strom. Wann bekommen wir Strom?" Es hat keine Verwaltung gegeben, es war das Faustrecht auf der Straße, und zu alledem war Wien gänzlich ohne Strom. Nicht ein Funserl hat gebrannt. Die Abschaltung der Stromwerke haben noch die Nationalsozialisten veranlasst. Sie haben abschalten müssen, weil sie kein Heizmaterial mehr gehabt haben.

 

Das große Problem war, wie der Mokesch gesagt hat, dass wir in Betrieb gehen müssen, bevor die Batterien leer sind. Wenn wir nicht bis dahin in Betrieb gehen, haben wir auf Monate hinaus keinen Strom. Wir haben keinen Erregerstrom in Wien gehabt. Also was machen wir jetzt? Der Dr. Mokesch war ein Mann, der bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt war, nicht nur bei den Ingenieuren, sondern auch beim kleinen Arbeiter. Beim Brunnenbauen oder Schlackenziehen, bei jeder Arbeit war er dabei und von jedem war er gut gelitten, und das hat ihm in dem Moment sehr geholfen.

 

Der hat jetzt gesagt: "Wenn wir imstande sind, das Werk in Gang zu setzen, dann haben wir gewonnen. Wenn nicht, dann haben wir es wenigstens versucht." Zunächst war die Aufgabe, im Werk Simmering die kleinste Maschine, die nur für den hauseigenen Bedarf erzeugt hat, in Gang zu setzen. Das war die kleinste und schwächste Maschine, die am wenigsten Heizmaterial gebraucht und doch Strom erzeugt hat. "Die werden wir in Gang bringen", hat er gesagt, "aber wir müssen zuerst einen Kamin in Ordnung bringen, weil es sind alle acht durchschossen." Alle acht waren kaputt. Wer kriecht in den Kamin?

 

Nun war alles auf Freiwilligkeit aufgebaut, niemand hat jemandem eine Anweisung geben können, weil man kann nicht einem Menschen, der das nie gemacht hat, der keine Erfahrung hat, sagen, kriech in den Kamin hinein und stopf da oben ein Loch zu. Den Auftrag kann niemand geben. Wer es freiwillig macht, der ist gerne gesehen. Zu diesen Arbeiten haben sich die Leute freiwillig gemeldet. Die haben zunächst den Kamin zugeklopft, dann haben sie probiert, "Ja, der zieht", und haben die Maschine angeschlossen. Vorher wurde bereits mit dem Handwagerl von unseren Leuten aus der ganzen Umgebung Kohle, Holz, Kohlenstaub zusammengeführt, damit sie die eine Maschine in Betrieb setzen können.

 

Rings um das E-Werk in Simmering sind ja lauter Betriebe. Da war das Gaswerk, da haben wir die Kohlen zusammengekehrt von den Kokshalden und rübergeführt. Dann waren dort noch ein paar Betriebe, und wir haben das Heizmaterial gestohlen oder bekommen. Tatsächlich konnten wir die eine Maschine in Bewegung setzen.

 

Wie wir am Abend die Gegend beleuchten, kommen schon die Russen. "Kommandantura braucht Strom." - "Wir brauchen Heizmaterial." - "Maschine läuft doch." Haben wir gesagt: "Aber nicht so viel." Bis man das dem beigebracht hat! Wir haben die Maschine nur eine halbe Stunde laufen lassen können, bis die Batterien voll waren; wir haben doch nicht mehr Heizmaterial gehabt. Nun haben sie die Russen dann doch so weit gebracht, dass sie uns zunächst einen Waggon Öl zugesagt haben. Jetzt haben wir zumindest einen Waggon Öl gehabt. Das Öl ist uns auf Lastautos gebracht worden. Jetzt war die Frage, was tun wir mit einem Waggon, der reicht, wenn wir die Maschinen voll laufen lassen, bestenfalls für vier Stunden. Die Kommandantura will natürlich in der Nacht Strom haben. Jetzt haben wir das doch so gedreht, dass die Kommandantur und das Allgemeine Krankenhaus angeschlossen worden sind, und alles miteinander auf zwei Stunden. Nach zwei Stunden war es wieder finster. Den Ärzten im Allgemeinen Krankenhaus haben wir das gesagt, der Kommandantur haben wir es nicht gesagt. Geht das Telefon: "Wir brauchen Strom." Haben wir gesagt: "Wir brauchen Öl." Das ist zwei oder drei Wochen so dahingegangen. Jeden Tag Debatte um das Öl. Zuerst haben sie nach zwei, drei Tagen einen halben Waggon mehr gegeben, dann einen ganzen mehr. So haben wir schon drei Waggons gehabt. Und wie wir ständig drei Waggons gehabt haben, haben wir die Ankerbrotwerke, das Allgemeine Krankenhaus und die Kommandantur ständig angeschlossen gehabt. Aber alle Leute, die an diesem Strang gehängt sind, haben Strom gehabt. Die haben mehr herausgeholt wie die ganzen Betriebe. Die Frauen sind damals hergegangen - Holz haben sie keines gehabt - und haben ein Bügeleisen verkehrt auf den Tisch gestellt und eine Suppe darauf gekocht. Und die anderen haben Wasser hingestellt, damit sie einmal die Kinder baden können, zumindest die ganz kleinen. Auf jeden Fall haben die Leute, die zufällig an diesen Leitungen gehängt sind, schon Strom gehabt.

 

Jetzt sind die Russen wieder wild geworden und haben gesagt, wir geben zu viel Strom ab. Wir sollen das abschalten. Wir haben gesagt, das können wir nicht. Das ist gar nicht möglich. Die meisten haben nichts davon verstanden, einige vielleicht schon. Auf jeden Fall haben wir dann doch erreicht, dass sie uns ständig vier Waggons geliefert haben.

 

Inzwischen haben die Leute von uns, vom E-Werk, festgestellt, von wo die das Öl herbringen. Die sind ihnen mit einem Motorrad einmal nachgefahren. Das war in Straßhof auf dem großen Verschubbahnhof. Dort sind hunderte Waggons Öl gestanden. Unsere Leute haben sich ein bisschen umgeschaut, wie das dort ist, sind heimgekommen und haben gemeint, dort könnten wir uns schon ein paar Waggons holen. Aber wie? Wir im E-Werk haben Schnaps gehabt. Wir haben eine Verbindung zu einer Schnapsfabrik gehabt; auch in der Notzeit haben wir dort immer wieder Schnaps bekommen, in großen Mengen, kistenweise. Unsere Leute haben gesagt, wenn wir eine Kiste Schnaps da hinaus mitnehmen, dann bekommen wir einen Waggon Öl. Aber wie wollen sie den hereinbringen? Es war alles gesprengt, keine Bahntrasse hat es gegeben. Die einzige Straße ging über die Reichsbrücke. Sie haben den Waggon von den Bahn- auf die Straßenbahnschienen weiterleiten müssen nach Wien hinein, dann ins E-Werk hinaus. Das haben wir eine Woche lang gemacht. Mit dem Zug über die Straßenbahnschienen; Oberleitungen hat es ja keine gegeben.

 

Sie sind mit einer Verschubgarnitur rausgefahren, die nur für das Betriebsgelände da war. Das war eine Maschine, die nur für den inneren Betrieb im E-Werk, für den Verschub von Öl, Kohle usw. gedacht war. Mit dieser kleinen Maschine und einer Kiste Schnaps sind sie hinausgefahren. Drei Leute waren mit. Und die kommen dort hinaus, da waren zwei dabei, die entweder Russisch oder Tschechisch verstanden, fangen eine Plauderei an, "Na, was trinken wir denn?" - "Habts nichts?" - "Da habts eine Flasche Schnaps." Die haben zuerst miteinander geprostet, und dann hat sich der Posten schon angesoffen und war außer Gefecht gesetzt. In der Zwischenzeit haben unsere Leute die Zugmaschine dorthin geschoben, wo sie sie wirklich gebraucht haben, und die Waggons angehängt. Der erste war ein Zehntonner, dann haben sie schon die Zwanzigtonner angehängt und haben einmal den einen Waggon hineingezogen. So haben wir schon einen fünften Waggon gehabt. Am nächsten Tag sind sie wieder hinaus und haben zwei Waggons angehängt. Das ist so weit gegangen, bis sie vier Waggons angehängt haben. Von den Waggons musste man das Öl in die Tanks umfüllen; man konnte die Waggons nicht stehen lassen, die mussten wieder hinausgebracht werden.

 

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