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Franziska Haas: Es geht schon so viel in Vergessenheit

Franziska Haas, geboren 1906, aus sozialdemokratischer Arbeiterfamilie in Wien, lernt Damenwäscheerzeugerin, dann Arbeiterin, ab 1935 arbeitslos. Mitglied sozialdemokratischer Jugendorganisationen, später gemeinsam mit ihrem Mann im kommunistischen Widerstand aktiv - Besorgen von Quartieren und Lebensmitteln für illegale GenossInnen, Herstellen von Verbindungen, Transportieren von Material. Im Juli 1941 im schwangeren Zustand verhaftet, Geburt ihres Sohnes im Gefängnis in Wien. Am 28. Mai 1942 vom Oberlandesgericht Wien wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Ab Juni 1942 bis Kriegsende Zuchthaus Aichach.

Verstorben 1983

 

 

Eisschuhe hab ich mir anzogen. Damit ich einen festen Schuh hab. Weil ich mir dacht hab, ich weiß ja net, wie lang ich drin bleiben muss. Ich hab grad die Bestätigung vom Arzt kriegt, dass ich schwanger bin, da bin ich verhaftet worden.
Viel von der Haft hab ich gar net so hundertprozentig mitkriegt. So eingesponnen war ich. Ich bin auf- und abgangen in der Zelle und hab mir dacht, das Kind soll gesund bleiben, ich will net nervös sein. Ich bin immer so für mich gewesen, die meiste Zeit war ich ja allein auf der Elisabethpromenade.
Na ja, geplant war das Kind net. Wennst es genau wissen willst: Mein Mann [Franz Michael Haas] hat immer ein Kind wollen. Es hat aber nie eingeschlagen. Sogar im Krieg, wie er einen überraschenden Urlaub gehabt hat, hat es net eingeschlagen, grad das letzte Mal, wo es eventuell nicht hätte sein müssen. Aber vielleicht hat es so sein sollen, dass er in dem Kind weiterlebt.
Den Mann haben sie drei Tage vor mir geholt. Wie ich dann verhaftet worden bin, war ich den ganzen Tag bei der Gestapo am Morzinplatz. Der mich vernommen hat, hat gesagt, sinds gscheit, schauns, meine Frau ist auch schwanger, ich weiß, wies der geht, redens und Sie können zhaus gehn. Na, es war nix zum Reden. Bis am Abend war ich dort. Dann habens meinen Mann vorgeführt. Der hat ausgeschaut, ganz zermartert. Sie haben sich gedacht, jetzt bringens mir meinen Mann, wenn sie sieht, wie der ausschaut, vielleicht sagt sie dann was. Das war das einzige Mal während der Schwangerschaft, wo ich sozusagen den Geist aufgeben hab, ich bin ohnmächtig worden. Dann bin ich auf die Roßauerlände kommen.
Es hat so verschiedene Momente gegeben, wo du glaubst, du haltst es net durch. Und doch, mein ganzes Sinnen war, das Kind soll nichts davontragen. Ich hab versucht, mich ruhig zu halten. Ob es gelungen ist, das weiß man selber nicht. Ich hab mich jedenfalls sehr bemüht. Die Zelle in der Roßauerlände war genau acht Schritte lang, da bin ich halt den ganzen Tag hin und her, bis mir das Kreuz weh tan hat, hin und her.
Einmal hab ich mich zum Doktor gemeldet und hab ihm gesagt, dass ich jetzt schon monatelang da bin und schwanger. Drückt er mit dem Finger auf mein Bauch: Wer ist schwanger? Da hast Lust zu sagen, dem Ruckerbauer sein Gaßbock. Sag ich, na ja, das Kind, ich hab Sorgen wegen dem Kind, dass es nicht gesund ist. Sagt er, ach, das Kind nimmt sich schon, was es braucht. Na gut, es hat sich nicht viel nehmen können, sonst wärs ja nicht so ein elendiges Krüpperl gewesen.
Ja, da hats schon Momente geben, besonders in der Nacht, wennst so ganz allein liegst und nicht weißt, musst hier entbinden oder wirst ausgeführt. Ich hab ja doch lange Zeit Hoffnungen gehabt, dass mich die Gestapo vielleicht zur Entbindung rauslässt. Aber es ist eben nicht geschehn.
Einmal bin ich gelegen in der Nacht und hab geweint. Da hat die einzige Aufseherin Dienst gemacht, zu der ich Zutrauen hatte. Sie macht auf und fragt, hast Schmerzen? Sag ich, nein. Na, warum weinst denn dann? Sag ich, jetzt gehts schon gegen Weihnachten zu. Ich weiß ja nicht, beim ersten Kind, kommts früher, kommts später, und ich bin noch allerweil da. Sagt sie, kränk dich net, wennst wirklich da herin entbinden tust, ich heb ihn dir aus der Tauf.
Vor der Entbindung habens mich dann ins Inquisitenspital, das war das Spital im Landesgericht. Sie haben gesagt, sie wollen die Schweinerei in der Roßauerlände nicht. Ich hab damals im achten Monat 49 Kilo gewogen. Zur Welt ist er gekommen mit zwei Kilo fünfundzwanzig und ist runter aufs Gewicht von ein Kilo fünfzig.

 

Im Inquisitenspital war ich in der Kinderzelle. Dort waren im Ganzen vielleicht sechs Betten, da sind nur werdende Mütter reinkommen. Ja, und am 11. Jänner ist er zur Welt kommen. Die Hebamme ist am Abend zu mir in die Zelle, um achte, und ist mit mir eingesperrt gewesen. Die ganze Zeit hat sie mir erzählt, wie kalt und ungemütlich es hier ist. Wenn sie sonst zu den Damen geht, ist so schön eingeheizt und sie kriegt immer Kaffee und Kuchen.
Ob es eine schwere Entbindung war, weiß ich nicht. Ich hab auf jeden Fall aufgeschnitten werden müssen. Der Arzt hat nur gesagt, na ja, eine alte Erstgebärende. Ich war 35 Jahr, und die Zeit halt, keine Bewegung und nichts.
Dann ist der Inspektor Michl kommen. Haas, was soll ich dein Mann sagen? Es geht mir gut, sagens ihm. Das war ein sehr netter Aufseher, der hat Dienst gehabt an dem Sonntag, wie ich entbunden hab. Er ist rüber zum Mann, damit der weiß, dass er einen Buben hat. Wie er zurückkommen ist, hat er ausgerichtet: Wenns Ihnen recht ist, ob Sie in halt Michl taufen.
In der Kinderzelle ist dann zwei- oder dreimal eine sogenannte Fürsorgerin kommen. Hab ich zu ihr gesagt, sie soll sich mit der Familie in Verbindung setzen, bezüglich der Kinderwäsche. Sie hat sich aber nicht sehr darum bemüht. Das Kind war schon vierzehn Tage auf der Welt, und ich hab noch keine Windel und nichts gehabt. Wenn mir nicht die Klosterschwestern notdürftig ausgeholfen hätten!
Dann hab ich leider Gottes Kindbettfieber kriegt. Also, das war schon bitter, weißt. Sieben Wochen bin ich gelegen mit dem Fieber. Ich hab glaubt, jetzt ist es aus. Verzweifelt war ich. Du hast keine Kraft mehr gehabt, damit du dagegenwirken kannst. Also hab ich mich halt sterben gesehn, hab mir gedacht, da komm ich nicht drüber weg. Einmal ist der Arzt kommen, der war dauernd in einem Dämmerzustand. Die haben gesagt, seit die Hinrichtungen sind, ist der noch nicht nüchtern geworden. Der ist kommen, und die Vivencia mit einem großen Polster, damit ich sitzen kann. Sie hat mir einen Tee gebracht, trinkens nur, da ist Zucker drin. Ich hab mir dacht, das sind die letzten Stunden. Mir war so leicht. Ich hab meinen Körper nicht gespürt, bin nur geflogen. Dass ich da drüber hinweggekommen bin, ein Wunder. Aber immerhin, ich bin heute 77 Jahr.
Der Bub ist immer weniger worden. Er hat ausgeschaut wie ein Greis. Durch das Fieber hab ich mich wahrscheinlich mehr kränkt und so viel geweint. Dann hat ihn die Herta zur Brust genommen. Die hat man wegen Spionage verurteilt. Sie war in Brünn bei der Gestapo angestellt und hat glaubt, sie ist klug und weise und kann auf beiden Seiten mitspielen, sowohl bei den Deutschen als auch bei den andern. So hat sie mir das erzählt. Von einem SS-Mann hat sie ein Kind kriegt. Sie war hübsch und leichtsinnig und ist als blühende Frau zu uns kommen. Bis zum Schluss war sie in der Tschechei und ist beim vollen Topf gesessen, bei der Gestapo. Sie hat so viel Milch gehabt, wenn ihr Kind trunken hat, ist ihm die Milch runtergeronnen, und wir haben gelacht. Wie sie dann mein Buben zur Brust genommen hat, hat man gesehn, wie ein Falterl nach dem andern verschwindet. Eigentlich hab ich der Herta zu verdanken, dass mein Bub am Leben ist. Trotzdem sie nicht eine von uns war, war sie der beste Kamerad, in jeder Art und Weise, die Herta.
Ja, und wie es mir besser gangen ist, bin ich aus der Kinderzelle raus und in Untersuchungshaft kommen. Das war ein sehr schlimmer Moment: Ich komm zu einem Besuch rauf, und das Kind ist weg. Seitdem hab ich einen Hass gehabt auf die Fürsorgerin. lch hab ja gewusst, das Kind muss einmal raus. Das wär ja schon fürs Kind ein Elend gewesen da drinnen. Aber dass ich nicht Abschied hab nehmen dürfen. Vielleicht haben sie Angst gehabt, dass ich hysterisch werd, dass der Abschied dann zu schwer ist, net. Also bitte, er war deswegen nicht leichter. Ich hab dann sehr lang nicht gewusst, wo er ist. Bis ich den ersten Brief bekomm, in dem mir meine Schwester schreibt, sie war am Besuchstag mit dem Kleinen bei meinem Mann. Er war schon abgeurteilt, da habens mit dem Kind einmal hin dürfen. Er hat ihn halt ein einziges Mal gesehen, und das nur hinter Gitter.

 

Bei der Verhandlung hab ich meinen Mann wieder getroffen. Er hat mich ja seit dem dritten Monat nicht mehr gesehn. Wie sie mich damals zur Verhandlung geführt haben, geh ich raus, auf einmal, wie ich runterkomm, seh ich, ein paar Schritt vor mir führens den Mann, gefesselt. Hab ich mein Aufseher bitt, er soll mit mir zurückbleiben. Das Gefühl, weißt, dass der Mann jetzt bemerkt, dass ich ihn seh, wie er gefesselt ist, das wollte ich ihm ersparen. Ich hab mir vorgestellt, dass es für ihn demütigend sein muss, wenn ihn seine Frau so sieht. Der Aufseher ist mit mir dann in einem Abstand gangen.
Jetzt gehst da, am helllichten Tag, im Mai, auf der Straßen, musst vom Landesgericht zur Verhandlung. Alles schaut dich an. Aber meine ganze Sorge war, mein Mann soll nicht bemerken, dass ich ihn in dem Zustand seh, wie er gekettet ist. Drinnen sind wir dann zusammengesessen. Ich hab Fotos mitgehabt. Der eine Aufseher hat sie gleich wegnehmen wollen, aber der andere hat gemeint, geh lass, lass ihms anschaun, net. Logischerweise hat sich alles nur um das Kind gedreht. So ernst schaut er drein, hat er gesagt.
Am nächsten Tag hab ich gleich auf Transport nach Aichach müssen. Am Abend vorher, auf einmal, in der Verdunkelung, wird Licht. Und der Inspektor Michl steht draußen, ganz hinten, beim Geländer. Frau Haas, sagt er, Sie gehen morgen auf Transport, ich wünsch Ihnen alles Gute, dass Sie wieder gesund nach Hause kommen. Hat er sich so hingestellt, dass ich seh, wer es ist. Das sind diese ganz kleinen Sachen, die geben dir so viel Mut. Am nächsten Tag haben sie uns in Viehwaggons verladen.

 

In Aichach bekommst du die ersten sechs Monate keine Post und darfst nicht schreiben. Danach hab ich sofort nach Haus geschrieben, wie gehts dem Kind. In jedem Brief hab ich dann ein Foto gekriegt, ich hab das Kind bildlich wachsen gesehn. Wie ich die Sicherheit gehabt hab, dass der Bub bei der Schwester ist und wie ich regelmäßig die Bilder kriegt hab, war ich ruhig. Ich hab gewusst, er könnt nicht besser aufgehoben sein. Sogar die eine böse Aufseherin hat sich gefreut, wenn ein Bild gekommen ist, die ist dann irgendwie ein bissl menschlich worden. Der zweite Brief, den ich hab schreiben dürfen, war an den Mann. Wenn du brav gearbeitet hast, hast alle vier Wochen schreiben können. Aber wir haben nicht brav gearbeitet, die Lili und ich. Also haben wir nur alle sechs Wochen die Erlaubnis kriegt. Jetzt sind oft Monate vergangen, bis ich dem Mann hab schreiben können. Von ihm ist keine Post mehr kommen. Er hat im September die Verhandlung gehabt, ist zum Tod verurteilt und im Dezember hingerichtet worden. Ich hab natürlich nichts erfahren. Dann ist schon der nächste Sommer gekommen. Und ein Jahr lang hab ich ihm geschrieben und nichts gewusst.
Bis ich meine Verwandten aufgefordert hab, sie sollen vernünftig sein und endlich sagen, was los ist. Der Schwager hat dann die Wahrheit geschrieben. Das sind Sachen, die du so nebenbei durchstehn musst, ob du willst oder nicht.
Ob ich das Schicksal verflucht hab? Nein, bestimmt nicht, nein. Es ist nur eine schlimme Zeit, über die du hinwegkommen musst. Ich hab ja gewusst, dass irgendwas nimmermehr in Ordnung ist. Trotzdem kommt die Wahrheit als Überraschung für dich. Ich hab ja die Überzeugung gehabt, dass mein Mann wirklich aus dem Innersten heraus diesen Weg gewählt hat. Es hat dir nur so weh getan, wennst den Menschen kennt hast, der ernst war, kein Luftikus war, dass er so ein Ende hat nehmen müssen. Aber dass ich gesagt hätt, verflucht noch einmal, dass du dich überhaupt für das hergeben hast, nein das nicht. So glücklich war er noch, wie das Kind da war. Im letzten Brief, den hat er ja leider nicht mir schreiben können, da legt er seiner Mutter das Kind ans Herz.

 

Wie der Mann und ich noch in Wien im Gefängnis waren, konnten wir uns Karten schreiben, alle vierzehn Tag. So haben wir ein bissl Kontakt gehabt. Und am Abend hast eben beim Fenster rausgerufen, wir waren im selben Stockwerk, zwischen uns nur zwei Zellen. Ich bin am End von der Frauenabteilung gewesen und er am Anfang der Männerabteilung. Leider Gottes bin ich erwischt worden, beim Rufen. Ich bin nicht rasch genug mit dem Kopf zurück, und unten war grad ein Aufseher im Hof, na ja, Korrektion. Aber das war nicht so schlimm. Schlimm wars nur am letzten Tag, wie ich weg bin. Ich hab nicht mehr rufen können, dass ich auf Transport geh.
Einmal hab ich die Schwester Restituta [Helene Kafka] im Spital troffen, sagt sie, na fein, jetzt lern ich den Spatz kennen. Der Mann hat mich nämlich immer Spatz gerufen und ich ihn Sperling. Das waren Kosenamen, von früher. Wenn er Spatz gerufen hat, hab ich gewusst, jetzt hat mich mein Mann gerufen.
Wir haben doch in Hietzing draußen in einer Villa gewohnt. Aber bitte, nur eine kleine Wohnung. Da waren zwei wunderbare Silbertannen, zwei große, und immer am Abend ist am höchsten Gipfel die Amsel gesessen und hat gesungen. Und in der Untersuchungshaft ist irgendwo am Rauchfang von einem anderen Haus eine Amsel gesessen. Das war dann unsere Verbindung. Wenn er rübergerufen hat, sagt er, hörst, unser Vogerl singt. Ja. Das sind die Momente, weißt, die dich wieder ein bissl - na ja, aufheitern ist zu viel gesagt - aber doch eine kleine Freude bereiten.
Wir haben dann halt in unseren Erinnerungen geschwelgt, wir waren ja sehr sportlich - Radlfahren im Sommer, Schifahrn im Winter. Und stell dir vor, dann wandern wir nur mehr zu dritt. Also, es hat keiner beim andern die Idee aufkommen lassen, dass es eventuell anders sein könnte, dass einer halt zurückbleibt. So haben wir versucht, solang es gegangen ist, uns aufzuheitern, gegenseitig.

 

 

In den Jahren 1982 bis 1985 wurden im Rahmen von zwei Forschungsprojekten von den Forscherinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lisbeth N. Trallori und Lotte Podgornik Gespräche mit über 100 Frauen in ganz Österreich über ihren Widerstand und ihre Verfolgung geführt. Eine Auswahl der Erzählungen ist in zwei Büchern veröffentlicht: "Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938 - 1945", Promedia Verlag 1985. Aus diesem Buch stammt die Erzählung von Franziska Haas. Zwei Jahre später erschien ein Buch mit weiteren Erzählungen: "Ich geb Dir einen Mantel, dass Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen", Promedia Verlag 1987.

 

 

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