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Bruno Furch: Man schaltete wieder auf hart

Bruno Furch, geb. 1913 in Wien, Lehrer und bildender Künstler. Betätigung für die Sozialistische Arbeiterjugend. Nach 1934 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, mehrmals inhaftiert. Nach dem März 1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg. Ab 1939 in Frankreich interniert (St. Cyprien, Gurs, Le Vernet), Anfang Mai 1941 in das KZ Dachau eingewiesen, im Juli 1944 in das KZ Flossenbürg überstellt, dort bis Ende April 1945 in Haft.

Nach der Rückkehr 1945 in der KPÖ tätig, Redakteur der "Volksstimme", 1970 Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ und Stellvertretender Chefredakteur.

Verstorben 2000.

 

 

Es war schon ziemlich kalt [in Dachau], das muss im November gewesen sein, ein Sonntag. Der Kachelofen war bereits geheizt. Um den Tisch beim Kachelofen waren deutsche Genossen versammelt und bliesen Trübsal, kommentierten äußerst pessimistisch und negativ die Ereignisse an der Ostfront. Die Äußerungen waren geprägt von Hoffnungslosigkeit. Vor ihnen stand der Ex-Bürgermeister Schmitz aus Wien. Ich bin in seiner Nähe gestanden. Er hörte denen zu, dann gab er seine Einschätzung, und die werde ich nie vergessen. Der Mann hat in solch überzeugender Weise den Leuten da, den Kommunisten, bewiesen, dass die Deutschen diesen Krieg gegen die Sowjetunion niemals gewinnen können. Keiner von uns wäre imstande gewesen, das so zu formulieren, so darzulegen und so zu begründen. Es war eine sehr nüchterne Einschätzung. Er hat gesagt: "Erstens. Wenn man an irgendeinem Punkt der Front mit konzentrierten Kräften angreift, dann ist ein Durchbruch unvermeidlich. Es ist unmöglich, einen Durchbruch zu verhindern. Die Sowjetunion war nicht gefasst auf diesen Angriff, sie war nicht vorbereitet. Wenn das der Fall gewesen wäre, wären die Dinge andersrum verlaufen." Dann hat er auf das Industriezentrum hingewesen, das im 1., 2. und im 3. Fünfjahresplan im Ural und in Westsibirien erbaut worden ist. Dort kämen die Deutschen nie hin, und das sei die eigentliche Basis für die Ausrüstung der Sowjetarmee. Sie hätten hunderttausende Menschen verloren, an Gefangenen vielleicht Millionen, aber sie könnten noch viele Millionen mobilisieren. Dann hat er von dem Auseinanderziehen der Front gesprochen, von der Verlängerung der Nachschublinien und ihrer Verwundbarkeit. Dann hat er gesprochen vom russischen Winter, hat den Vergleich mit dem Napoleon-Feldzug angedeutet, die Überlegenheit des sowjetischen Materials für diese klimatischen Bedingungen, dass es ausgeschlossen sei, Moskau zu erobern, denn nach den deutschen Prognosen hätte das schon jetzt der Fall sein sollen. Die Wehrmacht hätte mit ein paar Wochen gerechnet. Und dann hat er sogar angedeutet - obwohl das wahrscheinlich nicht stimmt -, dass ein Teil der sowjetischen Rückzüge auch aus taktischen Gründen erfolgte. Er hat geredet vom Vormarsch im Süden und durchblicken lassen, die Deutschen hätten es auf die Erdölgebiete um Baku abgesehen. Und die so genannte zweite Front, von der damals die Rede war. Was ist denn, warum rührt sich da nichts im Westen? Was ist denn, wo bleiben die Engländer? Er hat eine interessante Darstellung der Probleme gegeben, und die Schlussfolgerung war: Hitler kann den Krieg nicht gewinnen. Er hat auch den Partisanenkrieg, auch unter Anspielung auf Napoleon, erwähnt. Denn der Partisanenkrieg hatte sich ja in Jugoslawien schon zu entwickeln begonnen.

 

Ich habe vergessen, über den Einmarsch in Jugoslawien zu reden, der sich auf uns insofern auswirkte, als ziemlich rasch die Zahl der jugoslawischen Häftlinge im Lager stieg. Ebenso stieg die Zahl der sowjetischen Häftlinge. Darum haben sich auch die Verhältnisse im Lager rasch verändert. Es war im Herbst 1941 oder erst im Frühjahr 1942, dass Zucht und Ordnung und Sauberkeit nachzulassen begannen. Bis dahin herrschte ein strenges Regime. [...]

 

Um diese Zeit begann auch der massenhafte Einsatz von KZ-Häftlingen in deutschen Rüstungsbetrieben unter der Führung des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts der SS, dessen Chef SS-Obergruppenführer Pohl war. [...]

 

Ich wollte an dieses Schauspiel im Revier anknüpfen mit den "Fiedlern", die den zur Vergasung im Schloss Hartheim Bestimmten flotte Liedlein aufspielten. Es gab "Fiedler" im Lager. Erstens gab es immer, schon bevor wir ankamen, die so genannte Lagerkapelle, die flotte Märsche spielte. Sie war uniformiert, trug die Uniformen der königlichen Garde Norwegens und musste immer zu "heiteren" Anlässen, wie zum Beispiel zur "Auszahlung", aufspielen: Wenn "Zahltag" war, also wenn ein paar Dutzend auf dem Lagerplatz über den Bock gingen, d. h. die 25 oder 50 Peitschenhiebe ausgeteilt wurden, die Lagerstrafen vollzogen wurden. Lagerstrafen gab es ja auch andere: Baumhängen, Hände nach rückwärts gebunden und hochgezogen, was manche nicht überstanden haben. Die "populärste" Lagerstrafe war der Bock. Das ganze Lager musste stehen bleiben und zuschauen und den flotten Liedlein zuhören, mit denen die Lagerkapelle die Exekution zu begleiten hatte. Solche Veranstaltungen dauerten manchmal zwei Stunden oder noch mehr. Nach einer Stunde wurde die Kapelle immer kläglicher, und zum Schluss war nur mehr ein Quäken zu hören, denn die mussten ununterbrochen spielen bis zur Erschöpfung. Diese Art von "Kultur" gab es schon, bevor wir ankamen. Aber, so von der Jahresmitte 1942 an, gab es plötzlich mehr. Im Verlauf des massenhaften Einsatzes von Häftlingen in der Rüstungsindustrie, der Gründung Dutzender neuer Außenkommandos, hatte irgendjemand in der Reichsführung der SS, ich vermute das Wirtschaftsverwaltungshauptamt im Einvernehmen mit Himmler, die großartige Idee, das Lagerleben durch eine Art KdF, "Kraft durch Freude" - ich meine das jetzt ironisch -, angenehmer zu gestalten.

 

Eines schönen Tages beim Morgenappell kam der Redwitz [Schutzhaftlagerführer] wie üblich auf den Appellplatz marschiert, mit Hakenzusammenknallen und Hochwerfen des rechten Armes, nahm die Meldung des Rapportführers entgegen, über die Zahl der Angetretenen usw., den Häftlingsstand, und dann sagte er plötzlich - wir trauten unseren Ohren nicht, ich stand in den ersten Reihen meines Blocks, weil wir irgendwie nach der Größe angeordnet waren; wir haben uns gedacht, der Kerl hat zwei Schnapserln zu viel getrunken vor dem Frühstück -, er möchte am Samstag da ein Fußballspiel sehen. Spinnt er? Alle Ausrüstung stellte er zur Verfügung. Tore wurden aufgebaut. Tatsächlich, am Samstag gab es das erste Fußballmatch! Es wurden Fußballmannschaften aufgestellt, und die Beste war die Küchenmannschaft, nicht nur, weil die natürlich am besten ernährt war und die beste Kondition hatte, sie war auch sonst eine eindrucksvolle Gruppe. Sie bestand nämlich fast ausschließlich aus Angehörigen der Luxemburger Polizei. Eine ganze Kompanie Luxemburger Polizisten war irgendwo in einem Kaff in Slowenien stationiert zur Partisanenbekämpfung. Da wurde Hitlers Geburtstag zelebriert, 21. April 1942. Es gab ein fröhliches Gelage, so hat man das erzählt, und am nächsten Tag in der Früh entdeckten irgendwelche deutschen Polizeioffiziere, dass in den Unterkünften der Luxemburger das Hitlerbild, das an der Wand hing, von oben bis unten angerotzt war. Diese fröhliche Bande wurde also nach Dachau verschickt. Das waren alles sehr sympathische Burschen, muss ich sagen, und ausgezeichnete Fußballspieler. Die haben jedes Match gewonnen, kaum eines verloren. Es gab tschechische, polnische und gemischte deutsch-österreichische Mannschaften. Jeden Samstagnachmittag oder jeden Sonntagvormittag wurde eben Fußball gespielt. Soweit der "Sport".

 

Zu "KdF" gehörte aber mehr. Ein großes Orchester, ein respektables Orchester, 50, 60 Mann stark, mit erstklassigen Musikanten aus aller Herren Länder, wurde auf die Beine gestellt. Beim Auf-die-Beine-Stellen dieses Orchesters spielten unser Viktor Matejka und sein Freund Rudolf Kalmar eine große Rolle. [...] Es waren alle Instrumente da und fantastische Sänger. Ich kann mich an einen jungen Venezianer erinnern, der ein ausgebildeter Tenor war, der dort seine Arien schmetterte. Unter den Virtuosen war z. B. ein Trompeter der Moskauer Oper Kyrilenko. Der war ein fantastischer Trompetenbläser. Er war kriegsgefangen, hat im Kriegsgefangenenlager versucht, eine Parteiorganisation aufzubauen, wurde denunziert und von der Gestapo verhaftet, kam ins Lager, durfte nicht aus dem Lager, das heißt, er war ein "NAL"-Häftling. Er hatte auf dem Rücken die Buchstaben NAL: "Nicht-aus-Lager". Das heißt, er durfte in keinem Außenkommando beschäftigt werden. Er wurde, nachdem er gut anderthalb Jahre im Lager war, im Herbst 1944 [4. September] mit einer Gruppe von 90 sowjetischen Offizieren, darunter Generäle, erschossen. [...]

 

Dieses Orchester war zweifellos musikalisch von einer hohen Qualität, dank der zahlreichen wirklichen Könner, die da spielten. Ich muss sagen, ich habe zwei- oder dreimal versucht, einem Konzert beizuwohnen, um mir das anzuhören, musste aber nach 5, 10 Minuten weggehen. Ich habe es einfach nicht ausgehalten. Ich bekam ein Würgen im Hals - "Kraft durch Freude". Das war aber noch nicht alles. Im Lager wurde auch Theater gespielt. Auch das war ein Teil der unermüdlichen Aktivitäten von Viktor Matejka und Rudolf Kalmar. [...]

 

Es wurde ein unsterbliches Werk aufgeführt, das der Rudolf Kalmar in Dachau verfasste, ein altes Ritterstück ["Die Blutnacht auf dem Schreckenstein"] [...] Das war ein Volksstück, es gab dabei ziemlich viel Klamauk, also viel zu hören und zu sehen. Ein Gespenst kam vor und ein Ritter, eine Prinzessin oder so etwas. Der Text war interessant, mit einer ganzen Menge Unterschwelligem und für die SS kaum Verständlichem - für hellhörige Häftlinge, die der deutschen Zunge mächtig waren, aber ziemlich Klarem, was zum Schmunzeln und zu einer inneren Genugtuung Anlass gab. Es war reichlich ironisch, aber die SS-ler, die auch solchen Aufführungen beigewohnt haben, haben davon nichts begriffen. Denen hat der Klamauk gefallen und der besoffene Ritter, der sein Weinflascherl gestreichelt hat. Die haben sich glänzend unterhalten - und wir auch. Dann wurde im Lager zu Weihnachten 1943 oder 1942 der "Lumpazivagabundus" aufgeführt. Da spielte ich die Rolle des Schusters Knieriem. Der Rudolf Kalmar hat seine Mühe gehabt, mir die Melodie des berühmten Couplets "Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang, lang, lang, lang", beizubringen, aber es ist dann doch gelungen. Er hat es am Klavier begleitet. Er war ein bisschen ungeduldig, aber es ist dann doch gelungen, und ich habe das also halb sprechend, halb singend, so wie es sich gehört, vorgetragen. Die A-Baracke war bumsvoll, in den ersten Reihen saßen die SS-Leute, und ich habe dieses Lied vom Kometen gesungen, das Couplet, und habe den Refrain "Die Welt steht auf keinen Fall mehr lang, lang, lang, lang, lang" unter kräftiger Betonung des "die" gesungen. Die haben kein Ohrwaschel gerührt zu der Frechheit. Es war klar, welche Welt der Knieriem da meint. Der Matejka hat mich mehrmals "missbraucht" zu solchen Geschichten. Unter anderem haben wir den Beethoven gefeiert, da war irgendein Todestag, und da hat er mir mit Erfolg eingeredet, dass ich den Nachruf, ich glaube von Grillparzer auf Beethoven, rezitieren sollte. Das ist gelungen und das ist bekanntlich gar kein nationalsozialistischer Text, sondern ein recht guter humanistischer Text, der so gegen den Metternichschen Geist gerichtet war. Zu meinem Beitrag: Ich habe im Lager einige Gedichte geschrieben, und eines hat dem Matejka und dem Kalmar und dem Burgschauspieler Wittmayer so gut gefallen, dass bei einer solchen kulturellen Veranstaltung Wittmayer das Gedicht rezitiert hat. Es war ein Gedicht auf die Krimmler Ache. So viel zum Theater und zu sonstigen kulturellen Veranstaltungen, die es gegeben hat. Dazu gehört auch der Chor. Es gab einen Chor, der eigentlich ein slawischer Chor war. Die meisten waren Russen, Tschechen, Polen. Wieder herrliche Sänger, auch einige, die es gelernt hatten, nicht nur Naturtalente, zum Beispiel ein Bass, ein riesiger polnischer Pfarrer mit einem enormen Brustkasten, aus dem es nur so dröhnte. Ich weiß nicht mehr, was für Dinge der Chor gesungen hat, ich bin manchmal zu seinen Proben gegangen, auch zu seinen Aufführungen, ich habe aber keine konkreten Erinnerungen; jedenfalls sang er auch Opernchöre, aber in einer slawischen Sprache, hauptsächlich auf Russisch. Das hat der SS nicht sehr behagt. Der Chor ist dann auch eingestellt worden. Ich habe einmal einer Probe in einer Baracke beigewohnt, da lehnte an einer Säule ein mir bekannter Pfarrer aus Tirol, der hat ganz entgeistert, mit aufgerissenen Augen dem Chor zugehört. Da habe ich ihn gefragt: "Was sagst du dazu?" - "Urgewalten, Urgewalten!", war seine Antwort. So war es auch. Die Polen haben auch Volkskunst gemacht, eine Tanzgruppe aufgestellt, die war sogar kostümiert. Ich weiß nicht, wie sie die Kostüme gebastelt haben. [...] Es gab aber nur eine Aufführung und sonst nichts mehr. Es wurde verboten. [...]

 

Dieser ganze Kulturbetrieb fand 1944 ein jähes Ende, irgendwann im Frühjahr, als der Sturmbannführer Weiß als Lagerkommandant und der Graf Redwitz ersetzt wurden durch Gericke und Kampe als Lagerführer. Der Kampe war Schutzhaftlagerführer, ein eiskalter, äußerst vornehmer, hochgewachsener, bleichgesichtiger Mann mit Monokel im Aug, der wie ein Hahn jeden Tag in der Früh aus dem "Jour-Haus " zum Frühappell stelzte, gebügelt und gestriegelt, und sich mit einer vornehmen Geste die weißen Glacéhandschuhe im Gehen anzog, dann die Meldung entgegennahm und wieder verschwand. Mit ihm kam eine ganze Gruppe von neuen Rapportführern usw. Mit dieser Garnitur, so habe ich es in Erinnerung, wurde der ganze Kulturbetrieb eingestellt. Kein Theater mehr, kein Orchester mehr, keine Chöre mehr, ich glaube sogar, auch Fußball wurde eingestellt. Man schaltete wieder auf hart. Selbstverständlich waren diese Lockerungen, die es da eine Zeit lang gegeben hat, die "KdF"-Einführungen, nicht sosehr der Gutmütigkeit oder Warmherzigkeit des Sturmbannführers Weiß zuzuschreiben, was viele Häftlinge getan haben, oder dem Redwitz. [...] Dieses Umschalten auf hart hatte zweifellos mit der politischen und militärischen Entwicklung etwas zu tun.

 

Selbstverständlich haben die Häftlinge, und zwar in ihrer Gesamtheit, die Niederlage bei Stalingrad mit Genugtuung aufgenommen. Es hat ihren Optimismus gewaltig erhöht. Dann kam die Schlacht von Kursk, deren Verlauf wir auch gut kannten. [...] Trotzdem wussten wir alle nicht, wie das schließlich für uns ausgehen würde. Diese Frage: "Was haben die vor? Was wird sein? Was werden sie mit uns machen?" spielte in den Überlegungen eine große Rolle. [...]

 

Im Winter 1941/42 kam eine furchtbare Tragödie auf Dachau zu. Im Oktober, vielleicht schon im September, sind immer hunderte Offiziere der Roten Armee eingeliefert worden, die im Lager in einigen Baracken, die nebeneinanderstanden, zusammengepfercht wurden. Die Baracken wurden vom übrigen Lager durch Stacheldraht isoliert, eine Art Quarantäne. Es war den anderen Häftligen verboten, sich durch den Stacheldrahtzaun mit den Russen zu unterhalten, mit ihnen zu sprechen.

 

Diese neuen Häftlinge haben auch keine Häftlingskleidung getragen, sondern die zerschlissenen Uniformen, die sie vom Dienst in der Armee gehabt haben. Sie hatten geschorene Köpfe, aber das ist auch die "Haartracht" der Roten Armee gewesen. In den Baracken gab es deutsche Blockälteste. Von ihnen erfuhr man nach und nach, dass das sowjetische Offiziere waren, die in Kriegsgefangenenlagern gewesen und von der Gestapo und von der SS herausgeholt worden waren. Es kamen immer wieder neue, und nach wenigen Tagen marschierten sie hinaus auf den Schießplatz und wurden erschossen. Das spielte sich im November, Dezember, Jänner, Februar, März ab. Jeden Tag 150, 200, und zwar am Vormittag.

 

Die Lager-Buchbinderei war ja im Lager, noch ein paar andere Kommandos, und in den Blöcken gab es die Stubenältesten und verschiedene Stubendienste, Lager, Büro usw., Arbeitseinsatz, die Schreibstube, dann das Revier mit dem Personal. Da kam das Kommando: "Alles in die Baracken, Türen zu, Fenster zu!" Alles verschwand von der Lagerstraße. Und dann marschierten so 200, vielleicht auch 300 Russen aus diesem Offizierslager hinaus. Kurz darauf hörte man durch die verschlossenen Fenster leise die Salven der Maschinengewehre, mit denen die Leute im "Wildpark" draußen - so hat das geheißen: "Wildpark" - erschossen wurden. Zu Mittag begann das Krematorium zu arbeiten, und es entwickelte sich ein fürchterlicher Qualm, der bei Windstille sich ins Lager senkte, gelber Rauch, der nach verbranntem Fleisch roch. Das spielte sich fast jeden Tag ab und dauerte vielleicht bis März 1942. [...]

 

Da war keine Möglichkeit, irgendetwas zu tun. Man konnte verstohlen ein paar Zigaretten durch den Draht hineinschmuggeln, aber auch nur, um ihnen zu beweisen, dass wir mit ihnen fühlen.

 

Mit der Überfüllung der Lager mit Häftlingen hörte die Sauberkeit auf. Die Leintücher waren uns weggenommen worden zugunsten von SS-Lazaretten und für Krankenhäuser usw. Es begann das normale Lagerleben. Das ist wenige Monate nach unserer Ankunft eingetreten. Wir haben ein paar Monate die Leintücher gehabt und diesen übertriebenen Sauberkeitsfimmel. Dann gab es Dreck, Überfüllung, Läuse, Typhus und andere Epidemien, neue Transporte, weg aus dem Lager, Invaliden-Transporte, die ins Lager kamen, die aus irgendwelchen anderen Lagern zu uns kamen. [...]

 

[Im Juli 1944 wird Furch mit einer Gruppe anderer Häftlinge in das KZ Flossenbürg überstellt.]

 

Das Lager in Flossenbürg liegt in einem Talkessel. Auf der einen Seite standen die Baracken am Berghang, und da ging in der Mitte eine große, breite Stiege hinauf, sehr steil, mit Granit gepflastert, der im nahe gelegenen Steinbruch gebrochen worden war. Unten im Talkessel lagen der Appellplatz, das Revier, die Küche und die ganzen Wirschaftsgebäude, dann der Bunker, und weiter unten im Graben das Krematorium. Das Ganze war von Wald umgeben und ganz hart an der böhmischen Grenze.

 

Am Berg war das Klima rauh, und das innere Klima war noch rauher. Dort herrschten die "Grünen", die alle Lagerfunktionen besetzt hatten. Die machten aus Flossenbürg buchstäblich eine Verbrecherrepublik. Die Verhältnisse waren unvorstellbar im Vergleich zu Dachau. Wir sind wiederum eine Stufe tiefer ins Schlamassel geraten. Man kann aber nicht sagen, dass alle "Grünen" Unmenschen waren. Es gab die verschiedensten Sparten von Kriminellen: Gewaltverbrecher, Mörder, Raubmörder, Einbrecher, Notorische, die ihre Strafe im Zuchthaus abgesessen hatten und dann ins KZ kamen und uns Politische dafür verantwortlich machten, dass es die Einrichtung überhaupt gab. Wenn es die nicht gäbe, gäbe es keine Konzentrationslager, und wir wären schon längst in Freiheit, war ihre Auffassung. Also sind wir, die Politischen, schuld und daher der ganze Hass gegen uns. Es gab auch andere, die sogar ein bisschen einen politischen Anstrich hatten und die mit uns sympathisierten. Es gab andere Kategorien von Kriminellen, wie Hochstapler oder Defraudanten oder gewöhnliche Diebe, die charakterlich wieder ganz anders waren. Im Großen und Ganzen aber hielten die "Grünen" zusammen, mancher allerdings hat sich auch uns gegenüber tolerant und sogar hilfsbereit gezeigt. [...]

 

Die "Grünen" haben alle Lagerfunktionen besetzt gehabt, alles, vom Blockältesten bis zur Schreibstube. [...] Die "Grünen" haben die besten Lebensmittel für sich separat gekocht und waren wohl genährt. Unter ihnen herrschte sehr viel Homosexualität und das ziemlich offen. Ein richtiger Pascha, ein "Grüner", hatte einige Puppenjungs, junge Polen, junge Russen, die er auch fütterte, damit sie schön sind, die nicht arbeiten mussten, die sauber waren usw. Dann herrschte natürlich entsetzlich viel Brutalität in diesem Lager. Das Regime war um Grade nicht strenger, sondern einfach miserabler, nichtswürdiger, niederträchtiger als in Dachau. [...]

 

Die SS hat diese Entwicklung gefördert, weil es ihr die Dreckarbeit abgenommen hat. Es herrschte auch ein gewisses System drinnen. Man hat uns dort furchtbare Dinge erzählt, besonders aus der Periode des Lageraufbaus. [...] Als wir hinkamen, war der Steinbruchbetrieb längst auf mehr oder weniger Instandhaltungsarbeiten reduziert. Es ist dort kaum mehr etwas gebrochen worden. Die Steinmetzhallen, die dort standen, wurden als Montagehallen für den Rumpfbau der Messerschmitt-Werke benutzt. [...] Man arbeitete in Arbeitskommandos, beim Flugzeugbau, beim Rumpfbau in zwei Schichten. Ich glaube, jede Schicht zehn oder elf Stunden. Es gab eine Tag- und eine Nachtschicht. Das Lager war derart überfüllt, dass die Tagschicht sich in die noch warmen Betten von der Nachtschicht legen musste. So lagen wir zu fünft, zu sechst, ja sogar zu siebent in zwei Betten. Es waren Stockbetten im Schlafraum. Trotzdem war der Platz zu gering. Ein großer Teil saß, verbrachte die Nacht oder den Tag sitzend in der Stube, in der Wohnstube, so ineinander verkeilt, dass einer nicht einmal aufs Klo gehen konnte, wenn er musste. Dementsprechend sah es auch aus. Viele litten unter Dysenterie [Ruhr, Infektionskrankheit des Darmes]. Besonders in den letzten Monaten gab es nicht einmal genügend Möglichkeiten, sich zu reinigen. Es gab keine Seife, keine Handtücher. Die Brausen, die Waschbecken, die es im Bad gab, waren zu wenige für die große Anzahl von Häftlingen. Außerdem wurden jeden Tag in der Früh die Toten, die in der Stube und im Schlafraum in der Nacht gestorben waren, im Bad aufgeschichtet. Man ließ dort die Haufen von Leichen noch ein oder zwei Tage liegen, weil der Blockälteste seinen Stand halten wollte, damit er die Brotzeiten kassieren konnte, die er für sich und seine Puppenjungs brauchte, usw. Es gab außer der Dysenterie dann auch noch die furchtbare Plage des Fleckfiebers, verbunden mit der Läuseplage. Wir waren alle schlimm verlaust. Die Gefahr der Fleckfieberansteckung war die tägliche Sorge. "Wann erwischt es dich?" Interessanterweise haben die Ausgemergelten und Verhungerten das Fleckfieber leichter überstanden als die Wohlgenährten. Die Russen und die Polen waren erfolgreicher im Widerstand gegen das Fleckfieber als die Franzosen oder die Österreicher und Deutschen, die Tschechen. Man erklärte uns, dass die Ostvölker in einem höheren Grad gegen diesen Virus immunisiert seien als die Westeuropäer, weil es dort immer wieder Epidemien gegeben hatte, während das Fleckfieber in Westeuropa kaum mehr vorhanden war und, wenn es auftauchte, mit strengsten Maßnahmen der Isolierung bekämpft worden ist. Da habe ich wirklich tragische Fälle in Erinnerung. Ein bekannter Tscheche, ein ausgezeichneter Sänger, der jeden Tag am Abend gesungen, keine schwere Arbeit gehabt hat und auch relativ sauber und anständig genährt war, sang an einem Abend noch in aller Frische wie immer, und am nächsten Tag war er tot. Dieses hohe Fieber, das beim Flecktyphus ausbricht, hält nicht jedes Herz aus. Die Flecktyphus-Epidemie grassierte derart, dass man durchschnittlich pro Tag 100 Tote im Lager zählte. Das Krematorium war zu klein, die Kapazität reichte nicht aus, um die täglich anfallenden Leichen zu verbrennen. Daraufhin schickte man - das war im Winter - ein Holzschläger-Kommando von hundert Mann in den Wald, das jeden Tag Bäume zu fällen, zu zersägen und die Scheite zu spalten hatte, und aus dem so gewonnenen Holz wurden in der Senke neben dem Krematorium auf dem freien Feld Scheiterhaufen errichtet. Eine Lage Holz, eine Lage Leichen, eine Lage Holz, eine Lage Leichen usw. Hohe Türme, die mit Benzin übergossen und angezündet wurden. Oft war der Himmel in der Nacht rot vom Lichterschein der Scheiterhaufen. Besonders schaurig war es, wenn die alliierte Luftwaffe Nachtangriffe auf Nürnberg durchführte. Da kamen sie meistens vom "Protektorat" her, flogen vom Osten her Nürnberg an, der Himmel dröhnte. Vorher gab es Fliegeralarm, und da musste der Scheiterhaufen unter Entwicklung von riesigen weißen Dampfwolken, die da gen Himmel stiegen, von der Lagerfeuerwehr gelöscht werden. Dann dröhnten die Flieger übers Lager hin nach Nürnberg. Weil Flossenbürg am Berg oben liegt, konnte man sogar den Feuerschein des brennenden Nürnberg in der Nacht sehen.

 

Zum Regime im Lager wäre noch zu sagen, dass der Galgen und das Erhängen zu einer fast alltäglichen Erscheinung geworden waren. Wenn zum Beispiel bei der Arbeit irgendein Werkzeug kaputtging, wenn ein Bohrer abgebrochen wurde, so konnte das als Sabotage ausgelegt werden und wurde mit Erhängen bestraft, zur Abschreckung. Da kam es zum Beispiel vor, wenn ich von der Nachtschicht in der Früh hereinmarschiert bin, so hingen dort am Radiomast einer oder zwei. Am Fuß des Radiomastes gab es ein kleines Sonnenblumenfeld mit großen schönen Blüten, und die Füße von den Erhängten hingen da in diese Sonnenblumenblüten hinein. Wenn ein Häftling, das galt als eiserne Regel, geschlagen wurde von einem Kapo oder von einem SS-Mann, so durfte er nicht einmal die Hand zum Schutz seines Gesichts oder seines Kopfes erheben. Er musste stramm stehen. Das Aufheben der Hand, um sich zu schützen, war schon "Meuterei" und konnte mit Erhängen bestraft werden. Solche Fälle gab es. Ich habe da schreckliche Dinge in meiner Erinnerung.

 

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