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Anton Jelen: Mit Handgranaten

Anton Jelen, geb. 1916 in Loibach/Libuce als Bauernsohn. September 1939 Flucht nach Slowenien, Ende Juni 1942 Festnahme in Ljubljana, anschließend Haft in Gonars, Begunje. Dezember 1942 Überstellung nach Klagenfurt. 1943 wegen "Entziehung der Wehrpflicht" zu 10 Jahren Haft verurteilt. Strafverbüßung im Zuchthaus Stein a. d. Donau, überlebte dort das Massaker am 6. April 1945.

Nach 1945 Geschäftsführer des "Slovenski vestnik", danach Rechtsanwalt.

Verstorben 2010.

 

 

Ich wurde [in Ljubljana] am 27. Juni 1942 im aller Früh verhaftet. Die Italiener umstellten die Häuser und nahmen alle Männer, die zwischen 15 und 60 Jahre alt waren, mit. Erst in der Kaserne wurde dann selektiert. Die hatten einen genauen Plan. Die ganze Stadt war in Sektoren eingeteilt. Man riegelte zum Beispiel einen Sektor hermetisch ab, sodass niemand durchkommen konnte. Dann holte man die Leute aus den Häusern und brachte sie in die Kasernen. Diese Großrazzien haben am 26. Juni '42 begonnen. Am 26. ist bereits der erste Transport nach Gonars abgegangen. Dort war noch nichts vorbereitet. Wir kamen hin bei strömendem Regen. Es schüttete den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht. Und wir mussten die ersten Tage in Zelten übernachten. Diese schwarze, fast wie Moor aussehende Erde, friulanische Erde, war total durchnässt. Wir lagen dort zu viert in einem kleinen Zelt ohne Unterlage, wie man sie heute zum Beispiel hat. Wir lagen in der Früh buchstäblich im Dreck. Kein Abfluss, nix. Eine Mulde war 's. Wenn es regnete, wurde die Erde immer nasser und nasser, und dann sank man ein auf 10 bis 20 Zentimeter. Nach einiger Zeit verlegte man uns dann doch in Baracken.

 

Das Schlimmste war ja, dass man nichts arbeiten konnte. Wir mussten die ganze Zeit warten und herumlungern. Zu Essen gab es wahnsinnig wenig. Braunes Wasser in der Früh mit einem kleinen Stückerl Brot, zu Mittag meistens auch ein kleines Stückerl Brot mit einer so genannten Suppe, in der vielleicht ein Krautblattl g'schwommen ist. Der Kommandant, der Macchi, und sein Leutnant, Cantalupo, waren richtige Schweine. Gern haben wir den Trompeter gehabt, der hat immer am Abend den Zapfenstreich geblasen. Es war ein Kleiner, Schwarzhaariger. Wir glaubten, er sei ein Zigeuner, vielleicht war 's ein Sizilianer. Der blies, mit einem richtigen Gefühl, sodass wir uns den ganzen Tag schon auf sein Retraite freuten. In Gonars erschlug man die Leute zwar nicht massenweise, aber Folterungen gab es. Das kam öfters vor. Einer tat mir besonders Leid. Er gab nur irgendwie eine freche Antwort. Den hängten sie in der prallen Sonne in einem abgezäunten Quadrat auf einen Pfosten. Hinten die Hände zusammengebunden, aufgehängt auf dem Pfosten, und zwar so, dass er grad noch mit den Zehen den Fußboden berühren konnte. Und dort ist er gehängt, in praller Sonne, bis er in Ohnmacht gefallen ist, also bewusstlos geworden ist. Dann erst haben sie ihn weggebracht. [...]

 

Nach ca. 6 Wochen, es dürfte am 11. August gewesen sein, holte mich der Gestapomann Dutschke. Ich wurde mit noch zwei Burschen nach Ljubljana in die Kaserne transportiert. Diese beiden Burschen waren die Söhne des Professors Kramolc, auch eines Kärntners, aber von der jugoslawischen Seite, von Šentanel, ganz in der Nähe von Bleiburg. Wir kamen zu dritt nach Ljubljana, ich wurde aber sofort, am nächsten Tag in aller Früh, mit sechs anderen weitertransportiert nach Begunje.

 

Unterwegs haben sie in Šentvid, beim Umsteigen vom italienischen Lastauto auf den deutschen Wagen, einen erschossen. Er versuchte zu flüchten. Er war nämlich allein, die anderen waren immer zu zweit zusammengebunden. Dann kam ich nach Begunje, dort hielt man mich bis knapp vor Weihnachten, und ich zitterte immer vor den Verhören. Denn wir sahen ja, wie das mit den Verhören war. Die Gestapo hat die Leute manchmal so verdroschen, dass sie praktisch als blutiger Klumpen in die Zellen gebracht wurden. Wenn einer nicht zugeben wollte oder konnte, was die von ihm verlangten, wurde er gedroschen, ganz furchtbar. Also die Schreie, die wir manchmal aus den Verhörräumen hörten, das war fürchterlich. Und wenn einer nichts zugegeben hat, bekam er drei Tage nichts zu Essen und kein Wasser. Am vierten Tag bekam er zu essen, zu trinken, wenn er durstig war, und ging wieder zum Verhör. Das machten die manchmal bis zu dreimal hintereinander. Und ich war in Begunje vom 10. August bis Ende September im Bunker Nummer 3. Das war ein Nebenbau. Vom Park aus sieht der Anbau aus wie ein Schweinestall bei Großbauern, so ein lang gezogener Bau mit kleinen Guckerln oben. Es gab zehn Zellen, und ich war in der Dreierzelle, Nummer 3626. Vom Bunker konnte man ja nirgends hinsehen, das war die Stelle, von wo aus die Geiseln ausgesucht wurden, wenn man sie zum Erschießen in die so genannte Draga beförderte. lm Bunker war ich zeitweise allein, zeitweise mit zwei Burschen. Einer war aus Ljubljana, einer aus der Umgebung von Ljubljana. Soweit ich mich noch erinnere, hieß der eine Torkar.

 

Vom Bunker kam ich dann in den ersten Stock hinauf, in eine Gemeinschaftszelle. Eine Zeitlang war ich sogar Zimmerältester, weil ich der Einzige war, der Deutsch sprechen konnte. Von dort holte man mich dann zum Arbeiten, wieder in erster Linie um zu dolmetschen. [...]

 

Im Gestapogefängnis [in Klagenfurt] wurde ich dann verhört von einem Herrn Waldbauer. Der ist dann nach Kriegsende in Wolfsberg [alliiertes Internierungslager] gesessen. Er verhörte mich, einmal zeitig von in der Früh bis spät in die Nacht. Er brachte mich nervlich so weit, dass ich das Protokoll, ohne es genau durchzulesen, unterschrieb. Und darin stand: "Ich gebe frei und offen zu, dass ich mich landesverräterisch betätigt habe." Die Beschuldigung ging nämlich dahin, ich hätte in Kärnten, vor allem im Jauntal, Burschen und auch Soldaten organisiert und sie zur Flucht und auch zur Desertion überredet und sie dann weiter gelotst nach Ljubljana oder andere Gegenden und dort geholfen, ihnen Arbeitsposten zu verschaffen, wo sie dann organisiert und als organisierte Partisanen nach Kärnten geschickt worden seien. In diesem Sinn beschuldigte man mich, was in Details ja stimmte. Ich habe keine Partisanen organisiert, ich war ja selber keiner, aber dass wir mehrere geflüchtet sind, bevor wir einrücken hätten müssen, das stimmte ja. [...]

 

Ich habe aber dann trotzdem etwas getan, was sich damals keiner getraut hat. Ich habe einen Klagenfurter Anwalt betraut, es war ein älterer Herr. Dem habe ich die Geschichte erzählt. Mein Protokoll ist ja nach Berlin gegangen, zum Reichsanwalt. Und ich sagte zu meinem Anwalt, das könne ich nicht so auf mir sitzen lassen, ich muss irgendwas tun, ich werde mich bei Gericht gegen die Art der Vernehmung durch den Gestapomann beschweren. Der Anwalt schaut mich entgeistert an und sagt: "Das können Sie um Gottes willen nicht tun, das kann Sie den Kopf kosten." "Herr Doktor, wenn ich nichts mach, ist der Kopf auf jeden Fall weg. Ich kann ihn nur retten." Dann ließ ich mich zu einem Richter vorführen, beschwerte mich zu Protokoll darüber, dass die Vernehmung so hart war, von zeitig früh bis spät am Abend, dass ich nervlich total kaputt war, dass ich eine Version unterschrieben habe, die absolut nicht stimmt, und dass der Vernehmende mir das praktisch aufoktroyiert hat. Und das wurde abgeschickt nach Berlin. Nun begann die fürchterliche Zeit. Die Vernehmung war im Jänner [1943], und es dürfte etwa Mitte April gewesen sein, bis die Entscheidung aus Berlin kam. [...]

 

No, und nach etwa drei Monaten, es war so Mitte April oder vielleicht noch später, bekomme ich vom Klagenfurter Senat des Sondergerichtshofes die Entscheidung des Berliner Volksgerichtshofes, dass ich aus der Untersuchung beim Volksgerichtshof Berlin entlassen und dem Untersuchungsrichter beim Sondergericht in Klagenfurt zugeteilt werde. Und dann rief mich der U-Richter und sagte: "Sie können sich glücklich schätzen, wir in Klagenfurt sind halt doch ein bissl weniger streng als die Berliner", so ungefähr brachte er mir das bei. Und das war damals doch knapp vor dem großen Prozess der Eisenkappler, wo ich höchstwahrscheinlich dabei gewesen wäre, wenn mir diese Frechheit nicht gelungen wäre. Und dann kam halt unsere Verurteilung. [...]

 

Na ja, Urteilsspruch: je zehn Jahre Haft und Verlust der staatsbürgerlichen Rechte. Ich verlor die Staatsbürgerschaft und wurde mit der blauen Karte für wehrunwürdig erklärt. Also, ich durfte gar nicht zum Militär, geschweige denn, dass ich gewollt hätte.

 

So wurden wir dann mit mehreren Slowenen zum Bahnhof gebracht und mit einem Zug abtransportiert. Der Transport ging über Maribor, Graz, Wien, Salzburg nach Bernau. Von dort wurde ich nach einem Monat weitertransportiert. Es war auch ein Russe dabei, ein Riesenlackl. Der Zug hält in Mauthausen, draußen stehen fünf SS-Leute, wir haben natürlich alle gedacht, jetzt sind wir dran, wir gehen nach Mauthausen. Es wurde aber nur der Russe aufgerufen. Der Russe musste raus und fünf SS-Männer haben diesen Mann eskortiert. [...]

 

In Stein war ich dann in einer Einzelzelle, also längere Zeit ganz allein. Ist ja klar, bevor die Leute einen da arbeitsmäßig einteilen, denn dort musste man arbeiten.

 

Ich war im Nordtrakt und mein erstes Interesse war, Bekannte zu finden. Ich wusste, dass sich einige aus Klagenfurt auch in Stein befanden. Ich begann sie zu suchen. Wer ist alles in Stein? Vielleicht konnte ich Verbindung bekommen zu den Leuten. Der Vater vom Rutar war da, der alte Olip-Vater, der alte Meležnik. Aber es gab ein paar andere auch, ich glaub, der Golob, ein Jüngerer, war auch dort. Ich suchte die Leute auf die Art, dass ich das Fenster aufmachte und pfiff. Und zwar die Melodie des slowenischen Liedes "N'mav čez izaro". Die Suche nach Gleichgesinnten war für mich deshalb ein besonderes Bedürfnis, weil mich der amtliche Auftrag "Von Gleichgesinnten streng absondern" stets begleitet hat.

 

Nach einer gewissen Zeit wurde ich dann zur Arbeit eingeteilt und musste in der Aufnahmskanzlei dolmetschen, Schreibarbeiten, die notwendig waren, erledigen. Wir legten zum Beispiel für jeden das Standblatt an. Alle möglichen Sprachen musste ich dolmetschen, obwohl ich sie nicht beherrschte. Zum Beispiel Altgriechisch. Ich hatte mir ein paar Worte gemerkt und so versuchte ich es im Neugriechischen: "Name?" "Wo geboren?" Und die Griechen haben das verstanden, und ich lernte von ihnen, vor allem von jenen, die ein bissl Deutsch konnten. Französisch lernte ich erst später, so aus dem Lateinischen heraus. Italienisch ist 's besser gegangen. [...]

 

Im Winter '44 auf '45 spürte man schon, es geht alles zurück, der "Endsieg" kommt immer näher. Es musste alles aufgewendet werden für den "Endsieg". Da schickten sie dann auch verurteilte Soldaten wieder an die Front. Es waren Burschen im Gefängnis, Soldaten, die irgendwas angestellt hatten, Schwarzhandel getrieben oder so. Diese Soldaten zogen sie dann wieder ein. Die kamen wahrscheinlich in die Strafkompanie. Dann suchten sie Freiwillige, das war schon im März '45. Der Sekretär Schaar trat einmal an mich heran, im Büro, und sagte: "Jetzt müssen alle Kräfte aufgewendet werden. Wer sich jetzt bewährt, der ist dann gut gestellt. Von Ihnen kann man 's zwar nicht verlangen, denn Sie sind ja wehrunwürdig und haben sogar die Staatsbürgerschaft verloren. Aber Sie könnten sich jetzt freiwillig melden und wenn S' durchkommen, dann sind Sie ein gemachter Mann fürs Leben." Ich sagte: "Herr Sekretär, Sie wissen, warum ich da bin. Ich müsste ja ein versauertes Hirn haben, wenn ichs Leben riskiert hab, um nicht dazugehen zu müssen, und mich jetzt freiwillig melden würde." Er schaute mich an und sagte kein Wort. Aber sie dürften schon einige überzeugt haben auf diese Art. Na klar, jeder, der so lange drinnen sitzt, wenn er einmal drei Jahre in einer Zelle sitzt, dann wird er mit der Zeit narrisch, da tut er alles, nur um hinauszukommen. Na, ich bin geblieben.

 

Es kam eine gewisse Nervosität auf im Haus. Dann kam also jener grauenvolle Tag [6. April 1945]. Auf einmal kommt einer und sagt: "Du kannst dir deine Zivilkleider anziehen. Komm schnell, vielleicht findest dir was z'samm." Ich rannte und zog mich um, dann in die Kanzlei, der Schaar war nicht da. Und dann ein Rennen rundherum, Stimmen hörte man, aber ich getraute mich nicht hinauszugehen. Die Zellen wurden aufgemacht, es hieß, jeder soll sich seine Kleidung nehmen, soll sich anziehen und er kann gehen. Im Hof waren Kleider und Schuhe aufgelegt, und die Leute haben nach ihren Sachen gesucht. Ältere Leute sind nimmer dazu gekommen. Dieser Ožbolt aus Zell, ein alter Mann, der hat seine Schuhe gesucht und gesagt, er finde die Schuhe nicht. Sage ich: "Nimm irgendwas. Probier die Schuh und wenn s' dir passen, dann nimm s' und geh." - "Nein, nein, ich will meine Schuhe haben." Was ist passiert, er ist dann umgekommen, die SS hat ihn erschossen, weil er nicht sofort fliehen konnte. Den Rutar-Vater habe ich dort getroffen, wir haben noch geredet. Dann habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, ist er in der Anstalt gefallen oder draußen auf der Straße. Die Leute zogen sich an und drängten aus dem Hof. Stein hat mehrere Höfe. Der erste Hof mündet in ein kurzes Gasserl, so zwischen Beamtenwohnhäusern. Durch das zweite Tor kommt man erst auf die Hauptstraße. Ich tat mich mit einem Kollegen, dem Kramberger, einem Kaufmann, zusammen, und wir wollten hinaus. Dort trafen wir noch den Direktor Kodré. Er war ganz verdattert und sagte: "Ja, wer hat denn diesen Auftrag erteilt? Ich hab doch keinen Befehl gegeben, die Häftlinge auszulassen." Da sind wir hinaus, durch diese schmale Gasse, und als wir gegen das äußere Tor kommen, seh ich den Direktorstellvertreter Lang und den Wachtposten, den Oberwachtmeister Pomassl, der als Grobian bekannt war und ihn, den Lang, attackierte.

 

Draußen kamen SS-Uniformen zum Vorschein, zwei, drei SS-Offiziere, und ich sagte: "Gehen wir zurück, da kommt was, das wird gefährlich." - "Weißt was, verstecken wir uns hinter den Häusern da", meinte der Kramberger. Innerhalb des Gefängnissprengels waren zwei oder drei einstöckige Villen, Beamtenwohnungen. Ich sage: "Um Gottes willen, nur das nicht, nur hinein in das Gefängnis, das ist die einzige Rettung." Das habe ich instinktiv gespürt. Und wir rennen wirklich, rennen gegen das Tor, durch den Hof, nach links zum Tor hin, durch dieses durch. Wenn man sich zum Kreuzhaus wendet, ist dort ein großes Fenster. In dem Moment, als wir beim Tor sind, höre ich von hinten: "Zurück, Bande." Und dann ist es schon losgegangen. Als wir beim Fenster vorbeilaufen, explodiert davor eine Handgranate. Alle Scherben fliegen auf uns. Dann rennen wir. Nach einigen Metern ist rechts eine Tür zum Klo. Vor der Tür zum Klo liegt ein junger Bursch, der erst ein paar Tage vorher eingeliefert wurde. Dem hat 's die Schlagader durchschossen. Wie das passiert ist, weiß ich nicht. Jedenfalls liegt er dort in seinem Blut. Wir haben ihn in die Türnische gelegt, damit er nicht von den Flüchtenden zertrampelt wird. Dann rennen wir in den ersten Stock hinauf, oben steht ein Mann an die Brüstung gelehnt, unten steht ein SS-Mann und zielt mit seiner Maschinenpistole hinauf und schreit: "Hinein in die Zelle, sonst schieß ich." Und im Vorbeirennen erkenn ich den alten Olip-Vater. Ich hab ihn gepackt, ihn einfach hineingestoßen in die offene Zelle. Aber soweit ich später erfahren hab, war er damals schon verwundet und ist dann im "Revier" verstorben.

 

Auf der anderen Seite ging die Schießerei noch weiter. Dann hören wir Schritte, Marschtritte, die von irgendwo aus einem anderen Hof unter unsere Fenster kommen. Kramberger hebt mich auf, sodass ich beim Fenster hinunterschauen kann. Da sehe ich, wie sie den Direktor Kodré, seinen Stellvertreter Lang und den Wachekommandanten bringen, an die Wand stellen und erschießen. Die SS behauptete, sie wären schuld, sie hätten einen Aufstand angezettelt. Es wurde ja dann auch in der Umgebung überall verbreitet, die Steiner Verbrecher hätten einen Aufstand versucht und die SS musste eingreifen. In Wirklichkeit war 's nicht so. Der Kodré und der Lang wollten nämlich die Häftlinge einfach entlassen und sich absetzen. Der Baumgartner, der erster Stellvertreter vom Kodré war, wollte aber den Befehl Himmlers, die Häftlinge nach Deutschland zu transportieren, ausführen.

 

Die SS machte einfach mit Handgranaten und mit Maschinenpistolen die Leute nieder. Alles, was im Hof zu erwischen war. Zum Beispiel war ein Obersekretär in Uniform mitten unter den Leuten im Hof. Als die Schießerei begann, flüchtete er sich in die Garage und wurde genauso erschossen wie alle anderen. Es war ein Glück, dass mir dieser Gedanke gekommen ist - nur ins Haus, draußen ist 's zu gefährlich. Einer, zum Beispiel, konnte sich retten. Er kam nach zwei Nächten ins Gefangenenhaus und meldete sich. Wohin sollte er auch gehen. Irgendwo hinter der Garage war ein Holzstoß aufgestapelt. Dort hatte er sich hineinverkrochen, hinters Holz oder unter das Holz. Er ist dort zwei Tage und zwei Nächte geblieben. Es gab zwischen 300 und 600 Opfer. (1)

 

Dann kam das Kriegsende immer näher. Und da hieß es dann, in kleinen Gruppen, etwa zu zehnt, werden wir entlassen, bekommen Entlassungsscheine und können frei gehen. Nun haben wir mit Kramberger, weil wir ja in die Amtsstube abkommandiert worden waren und solche Entlassungsscheine geschrieben haben, natürlich den Wunsch geäußert, auch freizugehen, zumindestens wenn wir die Arbeit fertig hätten. Der neue Direktor Baumgartner war dagegen. Da bearbeiteten wir eine Frau Kreibich, die in der Kanzlei den Dienst versah, so lange, bis sie zum Baumgartner gegangen ist. Auf einmal erklärte er ganz streng: "Na, sollen s' halt gehen, wenn s' so stur sind." Ich weiß, zwei Gruppen wurden auf die Art entlassen. Sie stellten sich dort vor den Kanzleien auf, jeder bekam seinen Entlassungsschein und dann marschierten sie ab. Wir kamen aber drauf, dass sie nicht frei nach Hause gehen konnten, sondern an die Front mussten, Schützengräben graben. Na, das wollten wir auch nicht. Jetzt hat uns doch eine Panik ergriffen, und wir bettelten wieder, uns die Entlassungsscheine zu annullieren, und dass wir doch lieber mit der ganzen Belegschaft nach Westen oder nach Norden fahren wollten. Als alles fertig war, führten sie die Leute ab zum Steiner Donauhafen. Wie das vor sich gegangen ist, kann ich gar nicht sagen, ich habe es nicht gesehen. Wir wussten nur, es wird evakuiert, aber wie die Leute hingeführt worden sind, das sahen wir nicht, denn wir waren in der Kanzlei, im Parterre. Der Weg auf die Straße und zum Hafen war von dort nicht zu sehen. Als alles beendet war, holte uns der Obersekretär Vetter, bedankte sich bei uns noch und sagte, wir hätten uns kollegial gegenüber den Angestellten benommen und viel dazu beigetragen, dass alles ruhig und ohne weitere Opfer abgelaufen sei. Wir hätten sehr geholfen und könnten jetzt freigehen, wie wir wollten. Wir durften unsere Entlassungsscheine behalten, die wir uns ja früher praktisch selber geschrieben hatten, allerdings hatte der neue Direktor darauf unterschrieben. Diese Entlassungsscheine dürften uns dann auch bei der SS in Aggsbach/Klause die Haut gerettet haben. Wenn wir ohne Papiere dorthin gekommen wären, hätten sie wahrscheinlich kurzen Prozess mit uns gemacht. Der Obersekretär gab uns jedem noch einen kleinen Laib Brot, und die Zahnbürsten durften wir auch mitnehmen. Dann fand ich noch irgendwo einen Spagat, und der Kramberger ergatterte noch eine Plane, so eine Art Wetterfleck. Das war alles, was wir mitnahmen. Dann marschierten wir über die Brücke nach Mautern, und von Mautern ins Hügelland, in den Dunkelsteiner Wald Richtung Melk.

 

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