logo
logo

Elisabeth Neumann-Viertel: "From Vienna"

Elisabeth Neumann-Viertel, geb. 1900 in Wien, Schauspielerin. 1919-1933 in München engagiert, nach 1933 in Wien, aktiv in der Roten Hilfe, 1938-1948 Exil in den USA, dort trifft sie mit ihrem späteren Mann, dem Regisseur und Schriftsteller Berthold Viertel (1885-1953), zusammen. Rückkehr nach Wien.

 

Verstorben 1994.

 

 

Ich bin im Juni [1938] nach Amerika. Es ist mir in Wien nichts passiert, ich habe Glück gehabt. Ich bin zitternd und zagend auf die Straße gegangen. Viele von meinen Kollegen haben Straßen gewaschen und sind geschlagen worden. Einmal bin ich wegen dem Pass in der Bräunerstraße [Passamt] gewesen, da hat mir einer ein Kopfstück gegeben und mich weggejagt. [...]

 

Ein politischer Freund von Karl Frank [Mitbegründer von "Neu Beginnen", einer Gruppe von früheren deutschen Kommunisten und Sozialdemokraten, die im Sinne Otto Bauers einen "integralen Sozialismus" anstrebten], mit dem ich auch ganz gut gestanden bin, der ein reicher Mann war, hat mir aus Amerika ein Affidavit geschickt, für mich gebürgt. Nachher hat er gar nichts mehr getan, aber das habe ich bekommen. Die Überfahrt hat mir zum Teil noch die Jüdische Kultusgemeinde bezahlt. Dann bin ich gereist über Zürich, Paris, London. Überall habe ich Freunde getroffen. [...]

 

Ich bin nur ein paar Tage in London geblieben, bloß um verschiedene Leute zu sehen. Ich habe Rudolf Olden [Sekretär des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland] getroffen, ihn habe ich noch aus der österreichischen Zeit gekannt. Dann bin ich in New York angekommen, da hat mich ein Freund einer Freundin abgeholt, und die Sekretärin von dem Affidavit-Geber hat mir 25 Dollar gegeben. Ich habe ein Zimmer gesucht und keines gefunden. [...] In New York waren doch schon sehr viele Freunde, die bereits 1933 aus Deutschland vertrieben worden waren, etabliert, die hatten sich schon zurechtgefunden und verdienten Geld. Es waren ein paar Analytiker darunter, die ich von früher her gut gekannt habe. Da habe ich Verbindungen gehabt. […]

 

Dann habe ich durch das Council eine Stelle bekommen bei einem Zahnarzt, halbtags für sechs Dollar, da war ich nur kurz. Dann bin ich zu einer Dame gekommen, die hieß Tourneur, die einen Beauty-Salon hatte. Sie war Amerikanerin. Ich kannte die Gräfin Soundso, und das hat der einen großen Eindruck gemacht, die hat mir ein Affidavit für meine Eltern gegeben und hat mich engagiert. Da war ich für fünfzehn Dollar die Woche fest angestellt durch ein Jahr ungefähr.

 

Manches Mal habe ich jemanden schminken müssen, manches Mal habe ich in solchen Publicity-Sachen etwas gepickt, manches Mal haben sie mich auf die Straße geschickt, etwas einkaufen. Und ich habe Englisch gelernt. Ich konnte ja schon Schulenglisch. Und ich habe gesagt: "Ich spiele ganz bestimmt wieder Theater." Die erste Begegnung war bereits auf der Fahrt in Paris, da habe ich unseren Komponisten, den Singer, getroffen. Wir waren alle [in der "Literatur am Naschmarkt"] Juden oder politisch vollkommene Linke, die nicht dableiben konnten und wollten. Wir haben gesagt: "Wir treffen uns alle, wir machen wieder etwas auf." [...]

 

Mit meinen fünfzehn Dollar die Woche, das war auch nicht viel, hat man leben, schon ein Zimmer bezahlen können. [...] Der Berghof [Herbert Berghof, Regisseur und Schauspieler in Wiener Kleinkunstbühnen] und andere sind nach und nach gekommen. Wir haben wieder zu proben angefangen, die Emigranten haben sich sehr dafür interessiert. Ich habe weiter bei Tourneur gearbeitet, bis das Jewish Council uns dann Gagen gegeben hat, 20 Dollar die Woche. Ich habe bei Tourneur gekündigt und konnte wieder Theater spielen. Die Music Box war ein wunderbares Theater in der 43. Straße, ein herrliches Haus, ein großes, schönes Theater. Wir haben gespielt "From Vienna", so hat das Programm geheißen, eine Zusammenstellung von verschiedenen Chansons, der Metzl [Lothar Metzl, Hausautor der "Literatur am Naschmarkt"] hat mitgearbeitet, amerikanische Schriftsteller haben uns bei den Übersetzungen geholfen. Herbert Berghof hat das Dachau-Lied auf deutsch und englisch gesungen. Wir haben den Jura [Soyfer] erwartet, wir hatten schon einen Anzug für ihn, denn die Buben hatten ja oft nicht einmal Hemden zum Anziehen. Die Amerikaner haben sich zu uns fabelhaft benommen - beschenkt von hinten und vorn.

 

Wir haben noch ein zweites Stück gespielt, in einem anderen Theater und etwas später. Dann haben wir uns alle verlaufen. Jeder hat auf eigene Faust sein Glück versucht. Ich habe einige Male in New York gespielt, vor allen Dingen aber sehr viel auf Tournee. [...]

 

Der Kontakt zu Berthold Viertel hat schon viel früher angefangen, ungefähr 1940. Zuckmayers [Carl Zuckmayer und seine Frau Alice, eine Jugendfreundin Elisabeth Neumanns] haben auch in New York gewohnt. Ich habe eine sehr schlechte, winzige Wohnung gehabt, und auch das war mir zu teuer, weil ich nur sehr sporadisch in New York zu tun gehabt habe. Da hat die Frau Zuckmayer eines Tages angerufen und gesagt: "Liesl, du willst doch die Wohnung vermieten" - über den Sommer wollte ich immer vermieten, so konnte ich woanders hingehen -, "es sind der Zweig [Stefan Zweig] und der Viertel bei mir. Der Viertel hat gerade ein Stück am Broadway gehabt und will noch ein bissel in New York bleiben und ist mit seiner Wohnung so unzufrieden. Würdest du ihn nehmen?" - "Na ja, machen wir halt aus, dass er morgen zu mir kommt." Er ist zu mir gekommen und geblieben.

 

Das war das Jahr, in dem meine Mutter gestorben ist. Und von da an war ich mit ihm. Er hat in Amerika Schwierigkeiten gehabt, weil ihm der ganze Hollywood-Betrieb in keiner Weise gepasst hat. Er hatte neun Filme gemacht, wie er, von Murnau [deutscher Filmregisseur] geholt, hinüber ist, großartige Filme. Aber in der Zeit ist nichts Rechtes zustande gekommen. Es war eine schwierige Zeit, ihm hat vieles nicht gepasst. Eigentlich ist er nur beim Radio gesessen und hat den Krieg verfolgt. Er war so verzweifelt über die ganze Lage, dass er sich eigentlich - man sieht es ja auch an den Gedichten, wenn man sie liest - immer wieder und immerzu mit alldem, was passiert ist, beschäftigt hat. Das Nazitum hat ihn zugrunde gerichtet in seiner Produktivität [als Theater- und Filmregisseur], er hat nur mehr geschrieben. Aber als Regisseur hat er ganz wenig gearbeitet. [...]

 

Man hat eigentlich nie damit gerechnet, dass man je wieder zurückkommt, ich wenigstens. Und ich wäre wahrscheinlich auch nicht zurückgegangen, wenn mein Mann nicht dringend zurück hätte wollen und auch verlangt worden wäre. Ich hatte mich in Amerika eingelebt, habe auch meine ganze Familie dort gehabt, habe auch zu tun bekommen, gar nicht schlecht. [...] Und es hat ja kein Mensch hier [in Europa] nach mir verlangt, aber nach dem Berthold haben sie schon geschrieben und geschrieben. Auch die anderen haben nicht ans Zurückgehen gedacht. Es sind aber doch viele zurückgekommen. Man wurde auch nicht sehr liebevoll empfangen.

 

<< zurück

 

Themen

Exil
Unterstützt von: