logo
logo

Margit Czernetz: Jugendliche Arbeitslose

Margit Czernetz, geb. 1910 in Wien, Näherin, Krankenschwester. Sozialistische Arbeiterjugend, nach 1934 Betätigung für die Revolutionären Sozialisten, Kontaktperson zum ALÖS (Auslandsbüro österreichischer Sozialdemokraten) in Brünn. Oktober 1938-1945 Exil in Großbritannien.

November 1945 Rückkehr nach Wien, in der SPÖ-Bezirksorganisation Neubau aktiv.

Verstorben 1996.

 

 

Es war eine wunderschöne Zeit, aber es war auch eine sehr schwierige Zeit. Ich erinnere mich,
z. B. nach dem 27er-Jahr waren wir alle sehr kämpferisch, und es hat immer Aufmärsche gegeben am 1. Mai und wir haben gesungen. Damals war der Schober Polizeipräsident, und da haben wir gesungen: "Schober Schuft, Polizeipräsident, wie wird 's dir ergehen, sieht man schon am Schottenring Rotgardisten stehen." Wir haben uns natürlich auch von der russischen Revolution beeinflussen lassen. [...]

 

Vor 1934 hat die Arbeiterkammer Heime gemacht für "Jugend in Not" und "Jugend am Werk". Ich glaube, es war sogar schon im 32er-Jahr, da hat es wahnsinnig viel jugendliche Arbeitslose gegeben. Die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften, jeder hat ein Interesse daran gehabt, dass diese Jugendlichen irgendwie zusammengefasst werden. Nachdem ich eine leitende Funktion in der Arbeiterjugend im 2. Bezirk hatte, hat man mich gefragt, ob ich nicht als Heimleiterin bei der Aktion "Jugend in Not" arbeiten möchte. Ich habe gesagt, dass ich es probieren und sehen werde, ob es geht. In der Schule in der Zirkusgasse, im 2. Bezirk, wurde der größte Saal, der im letzten Stock oben war, dann dazu benützt, um ca. 60 bis 100 Frauen an einem Nachmittag irgendwie zu betreuen, ihnen einen warmen Raum zu geben, weil die Leute ja kein Heizmaterial hatten. Das waren Leute bis 24 Jahre, die aus den verschiedensten Kreisen gekommen sind. Ich habe zu meinem Entsetzen nach einer gewissen Zeit feststellen müssen, dass ein Teil dieser Jugendlichen Prostituierte waren. Und zwar Prostituierte nicht im ursprünglichen Sinn, wie wir uns das vorstellen, sondern Mädeln, die sich im Prater von jungen Burschen ansprechen ließen oder auch von älteren Herren und die mit den Betreffenden mitgegangen sind, auch nur um eine Suppe, ein Paar Würstel, irgendein Bekleidungsstück oder eine Tafel Schokolade zu bekommen. Die waren so ausgehungert und moralisch vollkommen unten. Ich erinnere mich noch, dass wir uns zur Aufgabe gestellt haben, die Mädel persönlich nett zu behandeln, was wir auch so gemacht haben, dann den Mädeln eine Suppe, die im Hause meistens vom Hausbesorger gekocht wurde, einmal am Tag zu verabreichen, manchmal auch einen Kaffee. Ihnen Gelegenheit zu geben, irgendwelche Spiele durchzuführen oder Lichtbildervorträge zu hören, die sie eventuell interessieren würden. Wir haben alles getan, um das durchzusetzen. Ich habe einen Bäcker gefunden, der uns täglich hundert Laibchen, so kleine Weckerl, geschickt hat. Nachdem das ein gutes Geschäft für einen Bäcker in dieser schlechten Zeit gewesen ist, habe ich ihn soweit gebracht, dass er uns zusätzlich einmal in der Woche eine kleine Mehlspeise zum Kaffee zur Verfügung stellt. Trotzdem war es für ihn ein Geschäft, weil das ja in die Masse gegangen ist. Hundert jeden Tag, das ist schon ein ganz schönes Geschäft. Da haben die jungen Frauen und die jungen Mädel sich sehr, sehr gefreut und waren glücklich.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: