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Fritz Tränkler: Steht dort der Schutzbund in Reih und Glied

Fritz Tränkler, geb. 1910 in Wien, Privatbeamter. Angehöriger des Republikanischen Schutzbunds, nach der Teilnahme an den Februarkämpfen 1934 Flucht in die ČSR, von dort in die Sowjetunion, 1937 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939 nach Frankreich, Internierung in den Lagern St. Cyprien, Gurs, Le Vernet, dann Djelfa (Algerien), nach der Befreiung Nordafrikas durch die Alliierten Mitglied des britischen Pionierkorps, zurück in die UdSSR. Sommer 1944 gemeinsam mit einer in der Sowjetunion ausgebildeten Gruppe Absprung über den befreiten Gebieten Sloweniens, August 1944 nach Österreich, Bildung der "Kampfgruppe Steiermark", die im Gebiet der Kor- und Saualpe aktiv war.

Nach 1945 Arbeit in der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft.

Verstorben 1990.

 

 

Ich war von Jugend an bei den "Kinderfreunden". Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass mein Vater sozialdemokratisch eingestellt war; er war kein Funktionär, aber im Großen und Ganzen war das seine politische Auffassung, die ich dadurch noch im Gedächtnis habe, dass er bei bestimmten Ereignissen an Demonstrationen teilgenommen hat oder wie er und auch seine Bekannten zum Krieg Stellung genommen haben. Das hat sich natürlich auf uns ausgewirkt, auf die Kinder, ich war der Älteste. Auch die Mehrzahl der Nachbarn war sozialdemokratisch. Dann bin ich auch, wie gesagt, bei den "Kinderfreunden" gewesen, dort war ich sehr aktiv, fast jeden Tag. Ich war in der Theatergruppe, die damals geschaffen wurde, zuerst in der Kindergruppe, dann mit 13, 14 Jahren bei den Erwachsenen, die auch eine Theatergruppe gehabt und verschiedene Stücke aufgeführt haben. Aufgeführt wurden diese Stücke in der Siemensstraße, neben der Bürgerschule. Dort hat die Arbeiterschaft eine sehr große Baracke gebaut, gleich nach Ende des Weltkrieges hat man damit begonnen. Das Zentrum dieser Baracke war ein großer Saal aus Holz, der war aber sehr gut gemacht, mit einer Bühne, die war vielleicht so groß wie ein Zimmer, vielleicht ein bisschen breiter, aber da hat man schon kleine Konzerte gegeben, man hat damals "Schrammeln" auftreten lassen; ich muss sagen, dass das eigentlich sehr gut war, weil das doch sehr viele Erwachsene angezogen hat, aber es waren auch sehr viele Kinder dort, die Kindergruppe war sehr groß. Weiters gab es Nebenbaracken, wenn man so sagen kann. Eine Baracke war für die Sozialistische Arbeiterjugend bestimmt. Ich bin also nahtlos von den "Kinderfreunden" in die Jugendgruppe gekommen, also überhaupt kein Problem, wir sind ja früher auch schon zusammengekommen irgendwie, der eine war noch 14, der andere war schon 15 Jahre, zwischen 14 und 15 war der Übergang in die SAJ [Sozialistische Arbeiterjugend]. [...]

 

Die Hausbewohner waren auch hauptsächlich Arbeiter. Dann war ein Friseur, also ein Geschäft, eine "Pfadlerin", manche sagten auch "Pfaidlerin". Die verkaufte Wäsche, Handtücher, ein Stückl Leinwand, Garn, Knöpfe. Im Parterre waren wirklich lauter Arbeiter mit Ausnahme dieser beiden Geschäfte; ich glaube, man kann sagen, dass 80 % wirklich Arbeiter waren. Einer, dessen Sohn mein besonderer Freund war, war angestellt im Wiener Fußballverband, der Vater einer Familie war Ingenieur bei Siemens, einige alleinstehende Frauen gab es auch, die ihre Männer im Krieg verloren hatten, die sind als Bedienerinnen gegangen und haben es besonders schwer gehabt. Es gab sehr gute Kontakte untereinander, also kein Vergleich zu jetzt. Man hat sich auch gegenseitig geholfen. Materiell war nicht sehr viel zu helfen, die Leute haben ja selbst nichts gehabt in dieser ersten Zeit, aber die Kinder sind in den einzelnen Wohnungen aus und ein gegangen beispielsweise. Ich kann mich erinnern, vis-à-vis von uns lebte eine Familie, deren Familienvater einen Unfall hatte, er war gelähmt und konnte fast nicht gehen, die haben zwei Töchter gehabt in meinem Alter, vielleicht auch etwas jünger, die Frau ist arbeiten gegangen, bedienen; es war zum Beispiel ganz natürlich, dass meine Mutter, wenn sie zu Hause war, einen Sprung rübergegangen ist und geschaut hat, was die Mädchen machen, ob sie sich ein Essen machen können, oder was der Mann macht, der sich allein fast nicht aus dem Bett herauswälzen konnte. Niemand hat etwas dagegen gehabt, wenn bei uns zirka fünf, sechs Buben zusammengekommen sind, wir haben einen Wirbel gemacht, die Leute haben geschimpft, aber es war nicht bösartig. [...]

 

Ich habe auch begonnen, Literatur aus der Sowjetunion zu lesen, von Gorkis "Die Mutter" war ich äußerst begeistert und von manchen anderen Schriftstellern dieser Art. Ich habe zum Beispiel alles versucht, einen sowjetischen Film zu sehen. In der Rotenturmstraße in den heutigen "Kammerspielen", da war zu dieser Zeit ein Kino, wurde der Film "Panzerkreuzer Potemkin" gezeigt, und wir sind alle zu Fuß hingelaufen. Da ist es ja zu fürchterlichen Tumulten dann gekommen, Schlägereien. Da sind, ich weiß nicht, ob man schon sagen kann Faschisten, jedenfalls reaktionäre Kräfte sind dort aufmarschiert, die wollten die Vorführung verhindern, die haben während der Vorführung zu raufen und zu schreien begonnen. Einer der Besucher ist vom Balkon hinuntergeschmissen worden ins Parterre. Ich könnte nicht mehr sagen, ob dem etwas passiert ist, ich weiß es nicht mehr, ich war froh, dass mich die Polizei nicht verhaftet hat. Zu solchen Szenen ist es nicht einmal gekommen, ich war nur einmal dort, aber ich weiß von mehreren Tumulten, die es damals gegeben hat. Ich war sehr revolutionär eingestellt damals, ich muss sagen, mir hat die Sowjetunion schon irgendwie imponiert. Als wir manchmal diskutiert haben innerhalb der SAJ, war ich mehr der Ansicht, man muss es so machen wie in der Sowjetunion, also mit Gewalt, anders geht es nicht - obwohl ich keine besondere politische Bildung gehabt habe, es war so ein Instinkt, damals hat man schon gesagt "Klassenbewusstsein". [...]

 

[Am 30. Jänner 1927 wurden bei einem Schutzbundaufmarsch im burgenländischen Schattendorf ein Kriegsinvalide und ein achtjähriger Eisenbahnersohn von Angehörigen der rechtsgerichteten, antisemitischen Frontkämpfervereinigung erschossen, die Mörder wurden am 14. Juli 1927 von der Mordanklage freigesprochen. Fritz Tränkler nahm an den darauffolgenden Demonstrationen am 15. Juli 1927 teil, bei denen der Justizpalast als Symbol der Klassenjustiz erstürmt und in Brand gesetzt wurde. Die Polizei eröffnete das Feuer auf die unbewaffneten Demonstranten, 89 Tote und mehr als tausend Verletzte waren die Folge.]

 

Jedenfalls sind wir [am 15. Juli 1927] vor bis zum Stadtschulrat, dann ist schon die Polizei, teilweise berittene Polizei, gekommen. Dort sind lange Latten gelegen, die wir gegen die Pferde genommen haben, und während wir dort herumgerauft haben, hat der Justizpalast zu brennen begonnen. Ich war nicht dort, ich war herunten auf der Ringstraße. Dann ist die Feuerwehr gekommen, die hat nicht durchgekonnt, aber ich habe gehört: "Ah, der Seitz kommt" - selbst habe ich es auch nicht gesehen, während wir von der Polizei zurückgedrängt worden sind, vom Justizpalast weg. Wir sind durch den Rathauspark zurückgedrängt worden, auf einmal haben wir gesehen, dass die Polizei in Reihen hinter dem Rathaus hervor aus einer Seitengasse kommt. Und zwar aus einer Seitengasse an der Front des Rathauses, die zum Parlament zeigt, mit Gewehren, und die haben geschossen. Ich bin auf einmal alleine gewesen, vorne am Rathausplatz, ich war nicht imstande wegzulaufen, so wütend war ich. Und ich bin zurückgegangen, die Kugeln sind um mich gepfiffen, und ich bin nicht gelaufen, ich bin nicht getroffen worden, vielleicht haben sie gedacht, ein Einzelner gehört überhaupt nicht zur Demonstration, ich nehme das eher an, aber jedenfalls hat mich keine Kugel getroffen. Sie haben dann alles abgesperrt. Wie ich wieder auf die Ringstraße hinunterkomme, so in der Höhe noch zwischen Parlament und Burgtheater, steht dort der Schutzbund in Reih und Glied, in Uniform, mit Kapperln, mit Stöcken ausgerüstet, hintereinander in Achter- und Zehnerreihen, ein paar Bataillone, und steht und kann nichts machen. Das war für mich förmlich ein Schock. Wir sind hingelaufen, ein Haufen junger Leute, die ich nicht gekannt habe, und riefen: "Ja, was steht ihr denn da, beim Parlament wird geschossen, dort sind die Leute, dort brennt der Justizpalast, dort liegen Tote und ihr steht da herum." Einige Schutzbündler begannen aus Wut sogar zu weinen. Sie sagten: "Das ist der Auftrag, der Befehl, wir müssen hier stehen bleiben." Kommandanten haben wir keinen gesehen, wir haben nur mit den Leuten gesprochen, die in Reih und Glied gestanden sind.

 

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