logo
logo

Siegmund Hirsch: Fesselloses Treiben

Siegmund Hirsch, geb. 1915 in Wien, wächst als Pflegekind bei Waldviertler Bauern auf. Jus-Studium in Wien, Mitglied beim Katholischen Deutschen Studentenbund und beim Cartell-Verband, zur Finanzierung des Studiums Unterricht in einer so genannten Werkschule. 1938 wegen jüdischer Abstammung von der Universität ausgeschlossen. Kontakte zu Widerstandszirkeln im Waldviertel, Hilfe für dort eingesetzte französische Zwangsarbeiter, 1941 verhaftet und am 16. November 1942 nach dem "Heimtückegesetz" zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt. Haft bis Kriegsende in diversen Gefängnissen und Konzentrationslagern, darunter Auschwitz, Buchenwald und Theresienstadt.

Nach Kriegsende Fortsetzung des Studiums, 1949 Eintritt in den österreichischen Finanzdienst, ab 1964 Österreichisches Statistisches Zentralamt.

Verstorben 1995.

 

 

Unvergesslich bleibt mir jener 11. März, an dem wir als Studenten bzw. als Angehörige des CV [Cartell-Verbands] zu einer Kundgebung am Hof [Wien-Innere Stadt] einberufen waren und, als wir die Freyung erreichten mit unserem Zug, die Absage dieser Kundgebung erleben mussten und - als wir uns von der Freyung zur Währinger Straße begaben - bereits aus der Alserbachstraße die "Heil" johlenden Nationalsozialisten aufmarschierten.

 

Die Abschiedsrede Schuschniggs erlebte ich im Kolpinghaus, und es war eine der traurigsten Stunden, die wir als junge Menschen erlebten. Das Wort Politik wurde für uns damals ein Schauer. In derselben Nacht wurden auch die Schaukästen des Kolpinghauses in der Gentzgasse demoliert, und der Mob auf der Straße schlug allenthalben bereits jüdische Geschäfte bzw. deren Schaufenster ein. Es war ein fesselloses Treiben der Nationalsozialisten.

 

In den nachfolgenden Tagen hörte ich, dass sich Egon Friedell, der ebenfalls in der Gentzgasse gewohnt hat, aus dem Fenster gestürzt hat, bevor ihn die SS oder SA abholen konnte. Noch am 11. oder 12. März wurde auch ein Freund aus unserer Mitte, der früher in München studierte und vor den Nationalsozialisten flüchten musste, Dr. Moritz Bauer, von der SS abgeholt. Später wurde das Vermögen des Kolpingwerkes beschlagnahmt, und ich zog von der Gentzgasse in die Pfluggasse und wurde Untermieter eines Dr. [Albert] Vogel, der dem kommunistischen Lager angehörte. Das hatten Freunde aus dem sozialistischen Lager vermittelt, die aus dem Bekanntenkreis des Dr. Vogel waren. [...]

 

Die damalige Hochschulorganisation - der NS-Studentenbund, der sofort eine beherrschende Rolle einnahm - verlangte einfach von allen, die ihr verdächtig, vor allem "rassisch" verdächtig schienen, einen "Ariernachweis". Damit war für mich das Betreten der Hochschule unmöglich geworden.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: