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Janko Tolmajer: "Führergemeinde"

Janko Tolmajer, geb. in Radsberg/Radiše, Bauer.

Nach 1945 Mitbegründer des Rates der Kärntner Slowenen, zwischen 1956 und 1970 verantwortlicher Redakteur des "Naš Tednik".

Verstorben.

 

 

Es hieß, sogar noch nachdem Hitler einmarschiert war, dass die Deutschen keine Absicht hätten, die Slowenen einzudeutschen. Auch wir stimmten dann am 10. April mit "Ja", und die Nazis ließen verlauten, dass das nazistische Regime die Minderheit anerkenne und dass sie solidarisch und großzügig zu den Minderheiten sein würde, denn das deutsche Volk müsse niemanden assimilieren, es wachse aus eigener Kraft. Das alles entsprach nicht der Wahrheit. Alle, die in den Gremien der österreichischen Organisationen gewesen waren, wechselten sofort in jene der Nazis, und das, obwohl sie noch am Tag zuvor bei der Vaterländischen Front gewesen waren. Schon daran konnte man sehen, dass keine Rede davon war, dass sich für uns Slowenen nichts ändern würde.

 

An den "Anschluss" selbst kann ich mich noch gut erinnern. Bei uns im Dorf hatten der Pfarrer ein Radio und der Professor Lojz, sonst niemand. Der Hitler war an einem Samstag einmarschiert. Meine Frau war in der Kirche, ich arbeitete im Wald, da donnerten schon die Flugzeuge über uns hinweg. Am Abend ging ich nach Mieger zum Pfarrer, Radio hören. Wir hörten den Sender Ljubljana, denn jeden Samstag hatte der Kuhar Lojze, der Bruder vom Prežihov Voranc, einen politischen Kommentar, den hörte ich immer. Und er sagte: "Dieser Tag ist der schwärzeste für die Kärntner Slowenen." Am dritten Tag kam schon ein Gendarm zu mir, noch in österreichischer Uniform, aber schon mit der Hakenkreuzbinde, und fragte, ob ich der Vorsitzende des hiesigen Kulturvereines sei, wie viel Vermögen er hätte und wie viele Mitglieder. Den ungefähren Stand sagte ich ihm. Nach einiger Zeit kam der Postenkommandant und verlangte, ich müsse alle Namen der Vereinsmitglieder nennen. Ich sagte zu ihm, dass ich ihm das Buch nicht geben könne, denn darin stünde auch, wie viel die Einzelnen Mitgliedsbeitrag bezahlt hätten, und das wäre geheim, aber ich würde ihm eine Abschrift besorgen. Jetzt war es aber so, dass der Verein am Anfang 250 bis 300 Mitglieder gezählt hatte und dass dabei auch viele Familien waren, die in der Zwischenzeit zu nemčurji [abwertende Bezeichnung für deutschnationale bzw. ihre nationale Herkunft verleugnende Slowenen] geworden waren. Der Sekretär und ich setzten diese Namen auch auf die Liste. Im Jahre 1940 hatten wir unsere letzte Generalversammlung, zwei Sitzungen hatten wir auch noch, zu denen jemand von der Partei kam, der Slowenisch konnte und bei der SA war. Am meisten interessierte ihn wohl, wer anwesend war.

 

Die slowenische Führung hatte ja verlautbart, dass wir für Hitler stimmen sollen, das haben wir auch diskutiert, und es überwog die Meinung, auch Dr. Petek war dieser Ansicht, dass sich zu wehren keinen Sinn hätte; wir entscheiden nicht, was mit Österreich passiert, wir anerkennen das Regime, das herrscht, nicht in dem Sinn, dass wir uns zum deutschen Volke bekennen würden, aber der deutsche Staat ist ein Faktum, gegen welches wir nicht ankommen. In die Richtung interpretierten wir die Aufforderung der slowenischen Führung und trösteten auch uns selbst. Tatsächlich war es dann ja so, dass dort eine Kommission war, du kamst hin, sie hatten keine Zellen aufgestellt, einer schob dir den Zettel über den Tisch und zeigte: hier mach das Kreuz! Was konntest du anderes tun? Hier in Mieger jagte die Polizei schon am nächsten Tag einen, der mit "Nein" gestimmt hatte. Bei uns gab es das nicht. Wir wurden gelobt, wir waren eine "Führergemeinde", hundertprozentig. Die Frau dieses Mannes aus Mieger war zwar eine bewusste Slowenin, auch seine Mutter, er persönlich gar nicht so, aber er war mit diesem Pack nicht einverstanden und sagte "Nein". Viel passierte ihm dann ja nicht, sie schauten ihn halt schief an. Er galt als schwarzes Schaf.

 

Auch die Beziehungen der Menschen zueinander veränderten sich, man traute niemandem mehr. Dass du verfolgt und bespitzelt wurdest, das spürtest du sofort. Einige Menschen veränderten sich. Da war einer, der war jahrelang Vorsitzender unseres Vereines gewesen. Ich ging am 13. hinauf in die Kirche, derjenige tritt mir mit einer Hakenkreuzbinde um den Arm entgegen. "Um Gottes Willen, du kommst damit?" "Ja", sagt er, "zum Teufel, was soll man tun, wenn man nichts tun kann. Gegen den Wind kann man nicht brunzen."

 

Als Vorsitzenden des Vereines rief mich der Gemeindesekretär zu sich. Wir gingen aus dem Amtszimmer und draußen sagte er zu mir: "Sei vernünftig, tu zackig Heil Hitler grüßen und mach keine Scherereien."

 

Die Atmosphäre im Verein war schon sehr gedrückt, es herrschte das Gefühl, was soll 's, man kann nichts mehr tun. Die Leute trauten sich nicht mehr zu den Veranstaltungen, auf der letzten Generalversammlung waren wir nur mehr 30, 40 Leute, der Spitzel in der SA-Uniform kam zackig: "Heil Hitler".

 

1941, nach dem Überfall auf Jugoslawien, wurde die Zentrale in Klagenfurt, die Slovenska prosvetna zveza geschlossen, das war auch das Aus für unseren Verein. Interessant war nur, dass ich neben dem Pfarrer Dr. Mikula das einzige Ausschussmitglied war, das nicht eingesperrt wurde. Ich weiß nicht wieso, aber die anderen hatten sie alle eingesperrt.

 

Sofort im 38er Jahr sperrten sie den Pfarrer Vinko Poljanec ein. Gegen Ende Mai ließen sie ihn dann wieder frei. Kurz darauf sehe ich ihn in Klagenfurt. Ich gehe am Elisabethinenkrankenhaus vorbei und sehe den Mann auf der anderen Seite, wie er in Richtung Diözese geht. Ich renne über die Straße und begrüße ihn. Er hatte Tränen in den Augen: "Du wagst es, mich zu begrüßen?" "Warum denn nicht?" "Mich haben sie hinauf nach St. Veit geschickt, aber da halte ich es nicht aus, ich gehe zurück nach St. Kanzian, egal, was sie dann mit mir machen. Ich gehe auf die Diözese und sage ihnen, dass ich heimkehre." Er hatte nämlich einen Gauverweis oder Kreisverweis. Mitte Juli einmal gehe ich wieder nach Klagenfurt und treffe den Kačnik, vulgo Joger, einen der führenden Slowenen aus St. Kanzian. Er leitete dort einen Chor und studierte Stücke ein. Ich frage ihn: "Wie geht es dem Herrn Pfarrer?" "Weißt du was, der Herr Pfarrer liegt drinnen bei den Elisabethinen, der ist schwer krank." Ich gehe zu ihm, dort konnte man hinein, wann man wollte. Ich komme in das Zimmer, und da liegt nur mehr ein Skelett im Bett. Er weinte, als er mich erblickte: "Du kommst auch?" "Freilich komme ich." Man hatte ihn seinerzeit im Gefängnis vergiftet. 1952 erzählte mir jemand in Ljubljana, dass kurz nach dem Begräbnis von Vinko Poljanec ein Arzt aus Ljubljana in einer Regennacht mit seinen Studenten das Grab aufgemacht, den Leichnam geöffnet und die Organe mit nach Ljubljana genommen hätte. Dort hätten sie den Magen auf der klinischen Abteilung geöffnet und wären draufgekommen, dass man ihm zermahlenes Glas ins Essen gegeben hatte, das sei am Magen zu sehen gewesen. Zermahlener Glasstaub ist deswegen so schrecklich, weil man ihn nicht aus dem Körper bekommt. Früher einmal hat man auf diese Weise Hunde vergiftet. Du gibst ihm zermahlenes Glas, und er krepiert. Das ist unheilbar. Höchstens mit einer Magenoperation vielleicht. Sogar der "Koroški Slovenec" schrieb anlässlich des Geschehenen, wie sehr manche Vinko Poljanec gehasst hatten. Aber auch so sah man, dass etwas nicht stimmte, er siechte dahin, keiner konnte ihm helfen. Wer ihn gekannt hatte, wusste, da war etwas nicht in Ordnung. Der Dekan Kindelmann sagte bei seinem Begräbnis unter anderem: "Es ist unverständlich, dass so ein gesunder, kräftiger Mann in seinen besten Jahren von uns gehen musste." An diese Worte kann ich mich gut erinnern.

 

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