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Anton Jelen: Wo muss man das Kreuz machen?

Anton Jelen, geb. 1916 in Loibach/Libuce als Bauernsohn. September 1939 Flucht nach Slowenien, Ende Juni 1942 Festnahme in Ljubljana, anschließend Haft in Gonars, Begunje. Dezember 1942 Überstellung nach Klagenfurt. 1943 wegen "Entziehung der Wehrpflicht" zu 10 Jahren Haft verurteilt. Strafverbüßung im Zuchthaus Stein a. d. Donau, überlebte dort das Massaker am 6. April 1945.

Nach 1945 Geschäftsführer des "Slovenski vestnik", danach Rechtsanwalt.

Verstorben 2010.

 

 

In den Semesterferien 1938 fuhr ich heim. Da war ich dann für die Abstimmung von Schuschnigg aktiv [gemeint ist die für den 13. März 1938 geplante Volksbefragung]. Vor unserem Hof stand an einem Wegdreieck ein großer Lindenbaum, und dort affichierte ich die Volksabstimmungsplakate. Ich war gerade bei der Arbeit, es war Abend, als von einer Hecke her Steine auf mich flogen, sodass ich diese aufgeben musste. Ich dachte mir, am nächsten Tag mache ich weiter. Am nächsten Tag war die Welt schon anders. Da begannen die Nazidemonstrationen. Es war ein derartiges Gebrüll, dass man das Gefühl hatte, als ob die Menschen wild geworden wären. Bei allen Leuten, die nicht nazistisch dachten, löste das große Besorgnis aus, bei meiner Familie überhaupt. Schon am Tag nach dem "Anschluss" kam der Oberlehrer zu uns, um zu inspizieren, ob wir die Hitlerfahne laut Weisung ausgehängt hätten. Ich hatte in zwei Giebelfenster im Hof zwei Fahnen gesteckt, wohl wissend, dass eine offene Opposition gleich am Anfang gefährlich war. Da gab es kleine Papierfahnen und diese Papierfahnen steckte ich in die Fensteröffnungen. Wenn man beim Haus vorbeiging, sah man sie nicht. Und der Oberlehrer fragte, warum wir noch keine Hitlerfahne hinausgehängt hätten. Ich sagte: "Herr Oberlehrer, das stimmt nicht, es gibt in unserem Haus zwei Hitlerfahnen, nicht nur eine." Er schaut hinauf, sieht keine. Durch den Hof führte ein öffentlicher Weg, zwischen Haus und Misthaufen. Um die beiden Fahnen genau zu sehen, musste man auf den Misthaufen treten, der sich gegenüber dem Wohnhaus befand. Er konnte nichts weiter sagen, es stimmte, es waren zwei Fahnen da. Aber der Blockwart bekam eine derartige Wut, dass er rot anlief und sagte: "Na, wir sprechen uns noch", und weg war er. Nach ein paar Tagen kam mein Bruder Stanko von Innsbruck nach Hause, es waren ja Semesterferien. Er erzählte uns, dass die Studentenschaft und überhaupt die Innsbrucker für Schuschnigg demonstriert hatten. Noch am Vorabend des Rücktrittes Schuschniggs war alles für ihn gewesen. Nach dem "Anschluss" gab es Nazidemonstrationen, bei denen dieselben Leute für Hitler demonstrierten. Das war typisch für die Einstellung der Bevölkerung.

 

Dann kam die Zeit der Vorbereitung für die "Volksabstimmung" am 10. April 1938. In der Zwischenzeit geschah einiges, zum Beispiel, dass man den ehemaligen Landtagsabgeordneten der Slowenen, den Pfarrer Poljanec, verhaftete und einige Pfarrer versetzte. Das rief natürlich eine große Spannung hervor. Dann kam der 10. April näher. Es war ein Sonntag, es gab natürlich viel Propaganda, alles muss für Hitler stimmen. Unser Wahllokal war im Gasthaus Hrust in Unterloibach, nahe der Grenze zu Jugoslawien. Die Nazis wollten, dass möglichst alle schon rechtzeitig zur Wahlurne schreiten. Am Samstag, das heißt am 9. April, bekamen wir unverhofft Besuch von einem Nachbarn. Das war ein SA-Mann, der seine militärische Ausbildung auf der Petzen machte. Auf der Petzen wurde nämlich zu jener Zeit ein Touristenhaus gebaut, die so genannte Bleiburger Hütte. Die Arbeiter waren alles Burschen aus der Umgebung von Bleiburg. In Wirklichkeit war es eine SA-Kompanie. Diese konnte dort oben frei und ungestört ihre militärischen Übungen abhalten. Dieser SA-Mann kam auf Besuch, in voller Uniform, mein Vater und ich waren in der Küche. Mein Vater brachte ihm Most, wie das bei Bauern so üblich ist. Wir tranken und debattierten. Und als er glaubte, er hätte genug getrunken, sagte er: "Also, morgen ist die Wahl und es ist der strenge Auftrag, es muss 100%ig für Hitler gestimmt werden. Wenn jemand dagegen stimmt, so werden wir diesen zu finden wissen. Wir wissen im Voraus, wo wir ihn suchen werden." Also, das war wirklich eine offene Drohung. Am nächsten Tag gingen wir nicht am Vormittag zur Wahl, sondern ließen uns Zeit bis Nachmittag, ich glaub, um fünf war Schluss. Es kamen ein paar SA-Männer mit Auto und forderten uns auf, sofort zur Wahl zu gehen, alles habe schon gewählt: "Warum kommt ihr nicht?" Nun gingen wir. Vor dem Wahllokal empfingen uns ein paar SA-Männer. Jener, der am Samstag bei uns gewesen war, der Sohn des Oberlehrers, eigentlich ehemals ein Schulfreund von mir, dann einer aus Unterloibach, der angeblich heute bei der Gemeinde Bleiburg eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Die provozierten genauso: "Na, wir wissen schon, wer dagegen ist." Und was machten wir? Mein Bruder Stanko und ich machten vor dem Wahlkommissär das erwünschte Kreuz. Wir konnten ja nichts anderes tun, sonst wären wir schon am nächsten Tag nach Dachau gefahren. Mein Vater aber nahm den Wahlzettel, zeigte ihn dem Wahlkommissär und fragte: "Sagen Sie, ich kenn mich nicht aus, wo muss man da das Kreuz machen?" Der Kommissär zeigte ihm den großen Kreis, der Vater sagte: "Wissen Sie was, Sie kennen sich aus, da haben Sie den Zettel, machen Sie es." Und der machte wirklich das Kreuz für ihn. Mein Vater lachte ein bisschen verschmitzt, so quasi: Ich hab es ja doch nicht gemacht.

 

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