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Die Gestapo als zentrales Instrument des NS-Terrors in Österreich

Brigitte Bailer / Elisabeth Boeckl-Klamper / Wolfgang Neugebauer / Thomas Mang

Die Gestapoleitstelle Wien wurde am 15. März 1938 von Sipo- und SD-Chef Reinhard Heydrich im Auftrag des Reichsführers SS Himmler etabliert und hatte ihren Amtssitz in dem am 26. März 1938 seinen jüdischen Besitzern weggenommenen Luxushotel „Metropole“  in Wien 1., Morzinplatz, wo sich heute der Leopold Figl-Hof (mit einer Gedenkstätte für die Gestapoopfer) befindet. Sie war mit über 900 von 2000 Beamten die wichtigste Gestapoeinheit im Gebiet des ehemaligen Österreich bzw. nach dem zentralen Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin die größte im gesamten Deutschen Reich. Die Stapoleitstelle Wien, die für Groß-Wien, Niederösterreich, das nördliche Burgenland und Teile Südmährens zuständig war, verfügte über Außenstellen in Wiener Neustadt, St. Pölten und Znaim und hatte auch das Kommando über die Grenzpolizeistellen und -kommissariate. Als Leiter von 1938 bis 1944 fungierte der aus Bayern stammende SS-Brigadeführer Franz Josef Huber; als sein Stellvertreter und Leiter des Judenreferats wirkte der aus der Wiener Polizei kommende Karl Ebner.

 

Die Gestapoleitstelle Wien lieferte alle zwei oder drei Tage einen Tagesrapport/Tagesbericht an das Gestapa bzw. an das Reichssicherheitshauptamt (und andere NS-Stellen), worin Festnahmen von Personen, Beschlagnahmen von Zeitungen, Büchern und sonstigen Druckwerken sowie andere staatspolizeilich relevante Vorgänge berichtet wurden. Diese vom September 1938 bis Februar 1945 vorliegenden Berichte enthalten regelmäßig Hinweise zu folgenden Themen: Linke Opposition, wie KPÖ und andere marxistische Gruppen, Nationale Opposition (Vaterländische Front), Katholische Bewegung / Politischer Katholizismus, Opposition (ziviler Ungehorsam, Renitenz, Äußerungsdelikte, Abhören ausländischer Rundfunksendungen), NSDAP und Gliederungen, Juden, Homosexuelle, Presse, Sekten, Wirtschaftsfragen, ausländische Arbeiter, Sonstiges (z. B. Beschlagnahme ausländischer Zeitungen). Insgesamt sind in den erhalten gebliebenen Tagesrapporten knapp 16.000 Personen unter Angabe des vorgeworfenen Delikts, des Festnahmedatums und allfälliger polizeilicher Verfügungen angeführt. Sowohl die Tagesberichte als auch die damit zusammenhängende, ca. 11.000 Personen umfassende Erkennungsdienstliche Kartei der Gestapo Wien sind vom DÖW digitalisiert und zugänglich gemacht worden.

 

Die von der Gestapo vorgenommene Kategorisierung der im Tagesrapport erwähnten verhafteten Personen spiegelt die Aufgabenbereiche der Gestapoleitstelle Wien wider. Neben der Bekämpfung und Unterdrückung organisierter politischer GegnerInnen sowie individueller Widerständigkeit zählten auch die Aufrechterhaltung von kriegswirtschaftlichem Arbeitszwang und die Überwachung und Kontrolle der immer mehr ansteigenden Zahl von überwiegend zwangsverpflichteten „FremdarbeiterInnen“ zu den Hauptzielen der Gestapo.

 

Die Tätigkeit der Gestapo war nicht nur durch brutalste Methoden zur Erzwingung von Geständnissen, sondern auch durch den systematischen Einsatz von 400 - 600 Spitzeln und DenunziantInnen („V-Leuten“) charakterisiert. Auf diese Weise konnte ein Großteil des organisierten Widerstandes zerschlagen werden.

 

Sein volles Ausmaß erreichte der von der Gestapo u. a. ausgeübte Terror erst durch das Zusammenwirken mit der Einrichtung der Konzentrationslager, also den staatlichen Zwangsarbeits-, z. T. auch Vernichtungslagern, in die die Gestapo Häftlinge ohne (Gerichts-)Verfahren aufgrund eines beim Gestapa bzw. (ab 1939) RSHA in Berlin beantragten Schutzhaftbefehles einweisen konnte. Mit dieser KZ-Einweisungskompetenz hatte die Gestapo gegenüber der Justiz die Priorität bei der Verfolgung von WiderstandskämpferInnen und Oppositionellen.

 

Da die für die Vertreibung bzw. später für die Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen zuständige Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien formal vom Wiener Gestapochef geleitet wurde, war die Gestapo Wien auch maßgeblich in die Shoah involviert.

 

Erst die Befreiung Wiens im April 1945 setzte der Folter- und Mordtätigkeit der Gestapo Wien ein Ende. Nur wenige Gestapobeamte wurden nach 1945 in angemessener Weise gerichtlich zur Verantwortung gezogen.

 

 

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