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Albert Massiczek

Wolfgang Neugebauer / Peter Schwarz

Aus: Wolfgang Neugebauer / Peter Schwarz: Der Wille zum aufrechten Gang. Die Rolle des Bundes Sozialistischer Akademiker (BSA) bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, hrsg. vom BSA, Wien 2005, S. 119-124.

 

Ganz ähnlich lagen die Verhältnisse im Fall Dr. Albert Massiczeks. Um seine berufliche Karriere in der österreichischen Nationalbibliothek abzusichern bzw. zu beschleunigen, näherte sich der ehemalige Nationalsozialist und damals noch als "provisorischer Staatsbibliothekar zweiter Klasse" Beschäftigte schrittweise der Sozialdemokratie: Im Oktober 1950 trat er dem BSA bei, im Juni 1951 folgte sein Eintritt in die SPÖ. (224) Innerhalb der SPÖ engagierte sich Massiczek in der Arbeitsgemeinschaft für Christentum und Sozialismus (ACUS) und als Obmann der sozialistischen Katholiken (ASK). Als Linkskatholik war er auch in der pazifistisch orientierten Ostermarschbewegung für Frieden und Abrüstung aktiv. (225) In den nächsten Jahrzehnten schlug er eine klassische akademische Beamtenlaufbahn ein, an deren Ende er 1982 als Hofrat und Direktor der Bibliothek der Akademie der bildenden Künste in Wien in Pension ging. Mit Erreichen seines Pensionsalters dürfte er allerdings auch seine BSA-Mitgliedsbeiträge eingefroren haben, was 1980 seinen BSA-Ausschluss zur Folge hatte. Massiczek wusste, dass ihm zu diesem Zeitpunkt eine BSA-Mitgliedschaft keine persönlichen Vorteile mehr einbringen würde. Offensichtlich zählte auch Massiczek zu jenen "Ehemaligen", die sehr rasch nach dem Erreichen ihrer beruflichen Ziele dem BSA bzw. der SPÖ wieder ihren Rücken zuwandten und in der zeitlichen Distanz keinerlei Dankesschuld oder Solidaritätsgefühl gegenüber den seinerzeitigen Protektoren verspürten. Schon in seiner aktiven Berufszeit hatte er sich außerdem durch eine gezielte Publikations- und Vortragstätigkeit den Nimbus eines antifaschistischen Engagements geschaffen, der ihm nun ein Gefühl der Sicherheit gegenüber möglicher Kritik oder Anfeindung in Bezug auf seine NS-Vergangenheit vermittelte. In den späten achtziger Jahren ging er sogar dazu über, eine Uminterpretation seiner NS-Vergangenheit vorzunehmen, indem er unter dem Titel "Ich war Nazi. Faszination, Ernüchterung, Bruch 1916-1938" den ersten Teil seiner Lebenserinnerungen veröffentlichte, in denen er seine angebliche Wandlung vom überzeugten Nationalsozialisten zum Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime beschrieb. (226) 1994 wurde im Rahmen einer Oral-History-Lehrveranstaltung am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien sogar ein Interview mit Albert Massiczek auf Video aufgezeichnet, in dem dieser vierzig Minuten lang über sein Leben in der NS-Zeit und seine durch Enttäuschung und Läuterung bewirkte Bekehrung zum Widerstand erzählte. (227) Mit dieser Interviewaufzeichnung sollte der historisch-pädagogische Wert des Zeitzeugen Massiczek für die Nachwelt erschlossen werden. Offensichtlich hielt es in der Publizistik-Lehrveranstaltung niemand für notwendig, die Geschichtsversion Massiczeks quellenkritisch nachzuprüfen. Denn einer solchen Überprüfung hält die behauptete Metamorphose Massiczeks nicht stand, die vorhandenen Dokumente sprechen eine deutlich andere Sprache. Massiczeks Darlegung hat mit dem Bemühen um historische Wahrheit sehr wenig zu tun, sie ist vielmehr Produkt selbststilisierender, retrograder Projektionen, die eher ein Licht auf seine Persönlichkeitsstruktur werfen, als tatsächlich Auskunft über seine Vergangenheit geben.

 

Nach den Unterlagen des österreichischen Staatsarchivs und des Bundesarchivs Berlin ergibt sich folgendes Bild: Albert Massiczek wurde 1916 in Bozen in Südtirol geboren. Nach Absolvierung von Volksschule, Realschule und einem einjährigen Ergänzungslehrgang für das Realgymnasium begann er 1935 an der Universität Wien mit dem Studium von Geschichte und Latein, das er 1939 mit der Promotion in Geschichte abschloss. Bereits 1933 gehörte er der Hitlerjugend an. Vom Oktober 1935 bis zum Juni 1936 versah er zum Teil als Fähnlein-Führer Dienst im Deutschen Jungvolk. Daneben musste er nach seinen eigenen Angaben als Hochschüler zwangsweise der Vaterländischen Front beitreten. Seit Juni 1936 war er Mitglied des NSD-Studentenbundes, in dem er seit September 1937 die Funktion eines Kameradschaftsführers ausübte. (228) Im Oktober 1937 trat er sowohl der NSDAP als auch der SS bei, womit er eindeutig ein so genannter "Illegaler" war. In der SS wurde er mit dem "Ehrenzeichen der alten Kämpfer bei der SS" ausgezeichnet. In den BDC-Akten des Bundesarchivs Berlin scheint Massiczek des Weiteren als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SD) der SS auf. (229) Für den Juni 1939 liegt eine interne Beurteilung des Albert Massiczek durch den NSD-Studentenbund vor, die ihn zunächst als "große nordische Erscheinung, guter Sportler" charakterisiert, dem ein "äußerst sicheres Auftreten" konstatiert wird. Ferner ist die Rede davon, dass er "große Kenntnisse in [der] Geschichte des deutschen Volkes" besitze und auch "organisatorisch und rednerisch sehr wertvoll" sei. In charakterlich-weltanschaulicher Hinsicht wird sein "Verhalten gegen Kameraden und Vorgesetzte" als "immer tadellos" beschrieben. Er habe sich "politisch bereits sehr verdient" gemacht. In der Gesamtbeurteilung heißt es, dass er "für jeden Einsatz geeignet" sei und "sich auf das beste bewährt" habe. (230) In einem Interview mit dem DÖW schilderte er u. a. auch seine Teilnahme an einer Razzia in einer Wiener Judenwohnung im Zuge des Novemberpogroms 1938. (231) Dies alles klingt bislang nicht nach einem Widerstandskämpfer.

 

Im April 1940 rückte Massiczek zur Wehrmacht ein. Über seinen Kriegsdienst ist nur wenig bekannt. Sicher ist, dass er an der Ostfront eine schwere Verwundung erlitt, bei der er das rechte Augenlicht verlor. Auf diese Weise vom restlichen Kriegsdienst befreit, wurde er Beamter bei der DDSG (Donaudampfschifffahrtsgesellschaft) Wien. Als solcher bemühte er sich Ende 1942 um die Stelle eines Bibliotheksreferendars an der Österreichischen Nationalbibliothek. Im Dezember 1942 forderte deshalb das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom Personalamt der NSDAP-Gauleitung Wien eine politische Beurteilung des Albert Massiczek ein. (232) In seinem Gutachten stellte der NSDAP-Ortsgruppenleiter Leopold Graf fest, dass Massiczek Mitglied der NSDAP und SS sei und sein gegenwärtiges Verhalten als "national" bezeichnet werden könne. Ferner fügte er hinzu: "Er [...] hat im Kampf gegen den Bolschewismus in der Nähe von Taganrog das rechte Auge durch eine Gewehrkugel verloren und gilt dadurch als 75 % Invalide. Politisch und charakterlich [ist er] vollkommen einwandfrei und treuer opferfreudiger Kamerad." (233) Auch in diesem Gutachten wird Massiczek als Antipode eines Widerstandskämpfers, als NS-Kriegsheld und loyaler Parteigenosse, geschildert. Es ist immerhin denkbar, dass ihn seine schwere Kriegsverletzung möglicherweise vom Krieg und von der NS-Bewegung entfremdete. Eine solche innere Distanz ist aber gerade deshalb so unglaubwürdig, weil sie nicht einmal ansatzweise die Schwelle des Aktenkundigen überschritten hat. Sich mit einem Widerstandskämpfer gleichzusetzen, ist darüber hinaus auch insofern geschmacklos, als Massiczek im NS-Registrierungsblatt selber die Angabe machte, dass er bis zum 27. April 1945, also bis zur Gründung der Zweiten Republik Österreich, der NSDAP und SS angehört hatte. (234) Sein Bemühen, sich in ein besseres Licht zu rücken, dürfte allerdings bereits in der Nachkriegszeit eingesetzt haben. So reichte er bereits im April 1947 ein Paragraph 27-Gesuch beim österreichischen Bundespräsidenten ein, das bereits im Dezember desselben Jahres positiv erledigt wurde und ihm eine weitreichende Ausnahme von den Bestimmungen des NS-Gesetzes wie auch eine Befreiung von den Sühnefolgen bescherte. Doch dabei wollte er es nicht bewenden lassen. Im Juni 1950 beantragte er bei der beim Bundesministerium für Inneres eingerichteten Beschwerdekommission, "seine Eintragung als SS-Angehöriger zu streichen". Als Begründung gab er an, dass er lediglich SS-Bewerber gewesen und als solcher überhaupt nicht registrierungspflichtig sei. Die Beschwerdekommission folgte seinem Antrag mit einer sehr eigentümlich-obskuren Begründung: "Vor allem aber fehlt in diesen amtlichen Unterlagen irgendeine Erklärung des SS-Oberabschnittes, ob er tatsächlich der SS angehört hat, denn die erwähnten parteiamtlichen Schreiben stammen lediglich von der NSDAP, nicht aber von einer SS-Stelle. Es konnte daher die Beschwerdekommission nicht die Überzeugung gewinnen, dass Dr. Massiczek tatsächlich mehr als höchstens SS-Bewerber war." (235) Schon die ersten Versuche, seine NS-Vergangenheit zu verschleiern und zu minimieren, waren von Erfolg gekrönt, sie bildeten gewissermaßen den Auftakt für die weitere Legendenbildung. In den neunziger Jahren trat Hofrat Albert Massiczek, der sich in der ÖsterreichischenWiderstandsbewegung engagierte, mit gehässigen Angriffen auf das DÖW in Erscheinung, wobei er auch nicht davor zurückschreckte, zeitweise die FPÖ mit Material gegen das DÖW zu versorgen.

 

 

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