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Zur Diskussion um Albert Massiczek

Stellungnahme von Wolfgang Neugebauer, Christine Schindler und Peter Schwarz zum profil-Artikel vom 9. 5. 2008

Nach Albrecht Konecnys Artikel "Was ist eigentlich ein Nazi?" in der "Zukunft" (April 2007) fand in der Online-Ausgabe der "Zukunft" eine Diskussion um Albert Massiczek (1916-2001), den ehemaligen Generalsekretär der so genannten "Österreichischen Widerstandsbewegung" (ÖW), statt. In einem "profil"-Artikel (20/2008) wurden in völlig einseitiger Weise die Positionen der Massiczek-Verteidiger wiedergegeben.

 

Die Auseinandersetzung mit der NS-Involvierung der Österreicher bzw. der politisch-gesellschaftlichen Reintegration der ehemaligen Nazis nach 1945 ist ein schmerzlicher, erst spät einsetzender Prozess, der nicht ohne kontroversielle Diskussionen und Konflikte vor sich geht. Die 2005 erschienene Studie über die "braunen Flecken" des BSA, die sich nicht auf allgemeine Beschreibungen und abstrakte Interpretationen beschränkte, sondern zahlreiche ehemalige Nationalsozialisten und deren Protektoren beim Namen nannte, führte - neben breiter Zustimmung insbesondere unter den Jüngeren - zu heftigen Reaktionen der Betroffenen und deren Umfeld - bis hin zu ultimativen Klagsdrohungen wie im Falle des ehemaligen Gestapobeamten und nachmaligen Innbrucker Vizebürgermeisters Ferdinand Obenfeldner.

 

Erika Wantoch, laut profil "langjährige Mitarbeiterin und Gefährtin" des ehemaligen NSDAP-, SS- und SD-Angehörigen Dr. Albert Massiczek (siehe Auszug aus der BSA-Studie "Der Wille zum aufrechten Gang") wurde offenbar durch die Infragestellung der ihr nahestehenden Bezugsperson verletzt und setzt gemeinsam mit einer Tochter Massiczeks alle Hebel in Bewegung, um diesen reinzuwaschen: eine eigene Homepage (www.albert-massiczek.at), Interventionen bei prominenten Persönlichkeiten, ein Offener Brief, der freilich nie an an den Adressaten Wolfgang Neugebauer gesandt wurde, aber nun - fünf Monate nach seiner ursprünglichen Abfassung - im profil (20/2008) partiell veröffentlicht wurde. Verknüpft wurde der Offene Brief mit einem Artikel von Marianne Enigl, der in völlig einseitiger Weise die Positionen der Massiczek-Verteidiger wiedergab. Um den Offenen Brief wurde künstlich ein Rahmen konstruiert, indem eine aktuelle Diskussion in "wichtigen Kreisen der SPÖ" zum Thema "Was ist eigentlich ein Nazi?" behauptet wurde. Diese Diskussion hatte freilich schon im Jahr 2007 stattgefunden, und zwar in der praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinenden Online-Ausgabe der Zukunft (www.diezukunft.at).

 

Dem Adressaten des Offenen Briefes und den Koautoren des im profil erwähnten Massiczek-Artikels in der Zukunft Christine Schindler und Peter Schwarz (siehe "Was ist ein 'Nazi'? Am Beispiel von Albert Massiczek) wurde eine Stellungnahme in profil verweigert, d. h., es erfolgte nicht einmal eine Antwort auf unser Ersuchen. Daher werden die relevanten Texte samt dieser Einleitung auf der DÖW-Homepage veröffentlicht.

 

Die Methode der Massiczek-Apologeten erinnert an die Praktiken der Nachkriegszeit bei der Reintegration der Nazis: Die unwiderlegbaren Dokumente aus der NS-Zeit, die Albert Massiczeks Zugehörigkeit zur NSDAP, SS und zum Sicherheitsdienst der SS, der berüchtigten Spitzelorganisation SD, belegen, sollen durch Aussagen von ZeitzeugInnen und Bestätigungen aus der Zeit nach 1945 relativiert und Massiczek zum Widerstandskämpfer und Antinazi uminterpretiert werden. Obwohl wir an einem Institut arbeiten, das von VeteranInnen aufgebaut und lange Zeit getragen wurde und umfangreiche Oral-History-Projekte und -Publikationen gemacht hat, vertreten wir - in Übereinstimmung mit der Zeitgeschichteforschung - die Auffassung, dass die Aussagen von ZeitzeugInnen genauso wie andere Quellenkategorien einer kritischen Quellenprüfung zu unterliegen haben und nicht eins zu eins die Realität widerspiegeln.

 

So will Albert Massiczek der Widerstandsgruppe Roman Karl Scholz angehört haben und führt dazu einige Zeitzeugenbestätigungen an, die im Entnazifizierungsverfahren vorgelegt wurden. Die diesbezüglich befragten Angehörigen der "Österreichischen Freiheitsbewegung" (Gruppe Scholz) Mag. Hedwig Bodenstein-Leitner und Dr. Herbert Crammer - dieser auch nach Befragen seines Bruders Walter - verneinten jedoch entschieden die Mitwirkung Massiczeks. Es wäre ja auch seltsam, wenn - nach dem Verrat des der Leitung angehörenden Burgtheaterschauspielers Otto Hartmann und der Verhaftung von hunderten AktivistInnen 1940 - Massiczek als Einziger unentdeckt geblieben wäre.

 

Bestätigungen, die die Zugehörigkeit zu NS-Organisationen abschwächen oder negieren, so genannte "Persilscheine", wurden in der Nachkriegszeit zu Tausenden in Registrierungsverfahren vorgelegt; sogar verurteilte Kriegsverbrecher führten Verfolgte als ZeugInnen und entsprechende Bestätigungen zu ihren Gunsten ins Treffen. So bestätigte etwa der Schauspieler Hans Moser dem vom Volksgericht Wien angeklagten Leiter des Judenreferats der Gestapo Wien Karl Ebner, der 47.000 Juden und Jüdinnen aus Wien deportieren hatte lassen, dass Ebner seiner jüdischen Ehefrau behilflich gewesen wäre. Der Leiter des SD Eisenstadt Heinrich Kunnert konnte sogar Bestätigungen aller drei Parteien sowie des späteren Landeshauptmanns Hans Bögl vorlegen, wonach er immer ein aufrechter Österreicher bzw. Burgenländer gewesen wäre. Obenfeldner, der spätere Vizebürgermeister von Innsbruck, ließ sich bestätigen, dass er im Auftrag der (damals gar nicht mehr existierenden) sozialistischen Partei zur Gestapo gegangen wäre. Wenn man als HistorikerIn solche Gefälligkeitsbescheinigungen, die nur zeit- bzw. umstandsbedingt zu verstehen sind, für bare Münze nähme, würde sich die Zahl der Nazis in Österreich auf einen Bruchteil reduzieren.

 

In dem profil-Artikel wird auf jene Punkte, die Massiczeks Glaubwürdigkeit und Seriosität erschüttern, nicht eingegangen. Dazu sei nur auf zwei, in den nachstehenden Texten ausführlicher dargestellte Sachverhalte hingewiesen. So behauptet Massiczek, der kommunistische Widerstandskämpfer Eduard Rabofsky habe ihn bei einem Treffen Anfang 1939 ersucht, für seinen verhafteten Bruder Alfred zu intervenieren. Tatsächlich wurde Alfred Rabofsky erst am 16. 6. 1943 verhaftet und später hingerichtet; er war zuvor nicht in Haft und es hat auch niemand für ihn interveniert. Noch dreister ist Massiczeks gelungener Versuch, durch die Lüge, er wäre nie bei der SS gewesen, 1950 die Streichung seiner SS-Zugehörigkeit zu erreichen. Später, als es nicht mehr schädlich war, hat Massiczek seine SS-Mitgliedschaft wieder zugegeben.

 

Bezüglich Massiczeks Aktivitäten in der "Reichskristallnacht" im November 1938 ist gleichfalls auf die nachstehenden Texte zu verweisen. Hervorzuheben ist aber die Version, er hätte einen Juden zur Polizei begleitet, um ihn zu "schützen" - auch der Innsbrucker Gestapobeamte Ferdinand Obenfeldner hat im Übrigen in seiner Rechtfertigung angegeben, Juden damals nur zu ihrem "Schutz" festgenommen zu haben. Allerdings ist hinzuzufügen, dass allein in Wien von den 6.547 verhafteten Juden 3.700 in das KZ Dachau deportiert wurden - in "Schutzhaft" genommen, wie der Fachausdruck hieß.

 

Die Verteidiger Massiczeks sehen ihn vor allem aus der Perspektive der 1960er und 1970er Jahre, als er als geläuterter Nazi, engagierter Antifaschist und Philosemit auftrat. Sie blenden seine spätere Wendung in den 1980er und 1990er Jahren aus, als er in der Waldheim-Diskussion vehement die Opfertheorie vertrat, öffentlich die Auflösung des DÖW forderte, der FPÖ für zahlreiche parlamentarische Anfragen Material über das DÖW lieferte und schließlich 1993 zum Helfer von Jörg Haider wurde. Wir meinen, dass in die Beurteilung einer historischen Persönlichkeit nicht selektiv nur das zeitweilig Positive einfließen soll, sondern das gesamte Lebenwerk in Betracht zu ziehen ist.

 

Wir haben weder in unserem Buch noch in einem anderen Beitrag jemals implizit oder explizit die These vertreten, dass es sich bei einem Nazi "um etwas Unaufhebbares - wie eine HIV-Infektion - handelt" (Zitat Albrecht Konecny), das zeitlebens unkorrigierbar bliebe. Jedoch haben wir uns in unserer Studie kritisch-wissenschaftlich mit einigen dieser Korrekturversuche seitens ausgewählter BSA-Mitglieder auseinandergesetzt. Übrigens distanzieren wir uns in Abgrenzung zu Albrecht Konecny und Marianne Enigl grundsätzlich davon, HIV-positive Menschen auch nur im Entferntesten - sei es in Form einer Metapher, sei es in Form eines analogen Vergleichs - mit Nationalsozialisten bzw. (verbrecherischer) nationalsozialistischer Gesinnung in eine gedankliche Verbindung bzw. Nähe zu bringen, geschweige denn, sie auf ein und dieselbe Stufe zu stellen.

 

Die Frage "Was ist eigentlich ein Nazi?" haben wir in Übereinstimmung mit dem Parteirecht der NSDAP (vor 1945) und den noch in Österreich geltenden gesetzlichen Bestimmungen (Verbotsgesetz bzw. Nationalsozialistengesetz von 1945 bzw. 1947) präzis beantwortet. In diesem Sinn war Albert Massiczek Nationalsozialist. Wenn nun jeder, der nicht aus voller Überzeugung, sondern nur nominell oder als Mitläufer der NS-Bewegung angehört hat oder später auf Distanz gegangen ist bzw. noch später entlastende Bescheinigungen über seine Nicht-NS-Einstellung beigebracht hat, nicht als Nationalsozialist zu qualifizieren ist, wäre damit die Frage der österreichischen Involvierung in den Nationalsozialismus gelöst. Von den 700.000 Parteimitgliedern blieben dann - bestenfalls - die rund 13.000 nach dem Kriegsverbrechergesetz Verurteilten übrig, sofern diese nicht auch durch spätere Amnestien und Reinwaschungen rehabilitiert worden sind.

 

 

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